Mainzer Jeden-Monat-Demo im März zum Bundesverfassungsgerichtsurteil

Liebe Mainzerinnen und Mainzer,

herzlich Willkommen zur 11. Jeden-Monat-Demo!

Am 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht das ALG II zwar für verfassungswidrig erklärt, es aber mit der Menschenwürde nach Artikel 1 Grundgesetz verknüpft und dem Gesetzgeber bis zum Ende dieses Jahres die Hausaufgaben übertragen, das ALG II menschenwürdig neu auszugestalten. Politisch – noch nicht juristisch – sind Sanktionen damit abgeschafft worden! Sie werden also vermutlich weiterhin verhängt, man kann sich aber mit guten Aussichten auf Erfolg im Rechtsbehelfverfahren auf das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht berufen.

Schützenhilfe haben wir erhalten vom Bundessozialgericht, das eine Woche später geurteilt hat, dass über die Folgen von Pflichtverletzungen “konkret, verständlich, richtig und vollständig” zu belehren ist. Doch wie könnte die ARGE vollständig belehren, wenn der Paragraph 31 im Sozialgesetzbuch 2 nicht im Ansatz einen Hinweis auf den Zweck von Sanktionen enthält, geschweige denn dass der Artikel des Grundgesetzes zitiert würde, was zur Einschränkung von Grundrechten zwingend vorgeschrieben ist!

Während die Bundesregierung Hunderte von Milliarden in die “Rettung” von maroden, aber angeblich “systemrelevanten” Banken steckt, hat der Haushaltsausschuss des Bundestages 900 Millionen (also nicht einmal eine Milliarde) Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik für das zweite Halbjahr 2010 gesperrt, sodass viele – teilweise schon bezahlte – Maßnahmen austrocknen werden (auch Ein-Euro-Jobs, was hinnehmbar ist). Zugleich wurde bekannt, dass die ARGEn in der Fläche solche Mittel für Personalzwecke angeblich legal umwidmen und von dieser sie nominell gar nicht berührenden Haushaltssperre sehr wohl mitbetroffen sind!

Ein Bremer Professor, Gunnar Heinsohn, hat via FAZ und  BILD eine “Debatte” angestoßen, dass Sozialhilfe (wie in den USA) nur für fünf Jahre gezahlt werden sollte, um den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, jede Stelle anzunehmen. Obwohl dieser Herr in den Bereichen Soziales und Wirtschaft doziert, äußert er sich nicht darüber, was nach den fünf Jahren geschehen wird, wenn der Betroffene in keinster Weise mehr Wirtschaftssubjekt ist und bis dahin Druck gar nicht hilft, weil es nicht an den Arbeitslosen liegt, sondern am Mangel an existenzsichernden Arbeitsplätzen. Ein Online-Kommentator hat vermutet, dass der Professor wohl wünschte, dass nach fünf Jahren alle anfangen sollten zu klauen. Daran wollen wir uns gerne halten!

Die aufgenötigte Selbstbedienung ist heute schon realisiert bei ÖPNV-Dienstleistungen, da man nach derzeitigem Stand gerade mal 15 Euro für die ÖPNV-Mobiltät zur Verfügung hat, um damit ein absurd teures Mainzer Sozialticket für 50,40 Euro zu kaufen, was natürlich illusorisch ist. Ein Mainzer Hartz-IV-Empfänger wurde dieser Tage wegen Schwarzfahrens zu drei Monaten auf Bewährung und 300 Euro Bußgeld verurteilt. Das Urteil des Amtsgerichts verstößt eindeutig gegen die Menschenwürde! Für die nähere Zukunft ist zu überlegen, ob die MVG oder die Stadt Mainz wegen Nötigung zu Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verklagt werden sollten.

Haben Sie schon von ELENA gehört? ELENA ist ein gigantisches Datensammelprojekt von Arbeitnehmerdaten, die zentral gespeichert werden und in den Augen von FoeBuD und ver.di unter Missbrauchsverdacht stehen. Dagegen planen diese Organisationen jetzt eine Sammelbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, deren Ausfertigung derselbe Jurist übernommen hat, der schon die Vorratsdatenspeicherung (mit über 35.000 Beschwerdeführern) zu Fall gebracht hat. Wir fordern zur Teilnahme an der Sammelbeschwerde gegen ELENA auf!

Ein letztes Wort zur SPD, die derzeit einen Schwenk in Sachen Hartz IV vorzunehmen scheint. Obwohl SPD-Politiker durchaus einen gewissen Einblick in die politischen Verhältnisse haben, wenn etwa, wie gestern bei “Menschen bei Maischberger”, Hubertus Heil die Notwendigkeit des gesetzlichen Mindestlohns wirklich wunderbar begründete. Da fragte man sich dann aber doch, warum die SPD am 14. Juni 2007 mit 193 von 198 anwesenden SPD-Bundestagsabgeordneten den eigene Mindestlohntext (im Antrag der Linksfraktion) abgelehnt hat. Auch die Vorschläge von Hannelore Kraft (NRW) weisen darauf hin, dass die SPD ihre Haltung zu Hartz IV so bald nicht ändern wird. – Schade!

Papierner Standpunkt

In der aktuellen Hartz-IV-Debatte hat sich Hans-Jürgen Papier, Vorsitzender des Senats am Bundesverfassungsgericht, der auch das Urteil vom 9. Februar 2010 verkündet hatte, in einem Interview mit der WELT am Sonntag (aus Anlass seines formal letzten Arbeitstages) zu Wort gemeldet. Auch die Mainzer “Allgemeine Zeitung” berichtet darüber. Seine Äußerungen sind jedoch von seinem eigenen Urteil nicht gedeckt!

Im Interview antwortet Papier auf die Frage, ob “eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger verfassungsgemäß wäre”:

“Juristisch handelt es sich genau genommen nicht um ‘Pflichten’, sondern um ‘Obliegenheiten’ zur Erlangung einer Leistung. Und die sind im geltenden Recht durchaus schon vorgesehen. Wer eine zumutbare Arbeit ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung rechnen. Sozialleistungen des Staates sind prinzipiell subsidiärer Natur, sie sollen nur dann gezahlt werden, wenn jemand in einer Notlage ist, aus der er mit eigener Kraft nicht herauskommt.”

Möglicherweise im Versuch, der Frage geschickt auszuweichen (wie er vielen Fragen ausweichend begegnet), verhaspelt sich Papier, vermengt den über das SGB II hinausgehenden “Vorschlag” von  Roland Koch und Guido Westerwelle (Letzterer explizit mit seinem “Schneeschippen”) mit Ansichten über das SGB II selbst und heraus kommt eine Lüge. Zunächst muss ich eines ganz klar festhalten: Eine Arbeitspflicht speziell für Leistungsberechtigte nach Hartz IV ist nach Artikel 12 Grundgesetz klipp und klar verfassungswidrig! Eine solche Arbeitspflicht vorzuschlagen, stellt die Vorschlagenden ins gesellschaftliche Abseits der Verfassungswidrigkeit. Die genannte “Obliegenheit zur Erlangung einer Leistung” ergibt sich weder aus dem SGB II noch aus dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Gemeint ist hiermit vielmehr die “Annahme jeder zumutbaren Arbeit” gemäß dem “Fordern”-Prinzip des SGB II zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit (das natürlich ebenfalls eine nach Artikel 12 Grundgesetz festzustellende Verfassungswidrigkeit darstellt, deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht allerdings noch aussteht). Diese Forderung steht jedoch mit der Gewährleistung der Sicherung des Lebensunterhalts durch das ALG II in keinerlei Zusammenhang, wie das Bundesverfassungsgericht jüngst klarmachte, als es die Auszahlung des ALG II direkt (und allein) mit der Wahrung der Menschenwürde verknüpfte. Dem Usus, dass beide Bestandteile des SGB II etwa bei der Verhängung von Sanktionen wegen der Verweigerung einer “zumutbaren” Arbeit vermengt wurden, hat das Bundesverfassungsgericht durch sein Urteil endgültig einen Riegel vorgeschoben: Das Bundesverfassungsgericht hat Sanktionen abgeschafft!

Weiterhin behauptete Papier im WELT-Interview folgendes:

“Der Gesetzgeber hat nicht nur bezüglich der Höhe der Leistung einen Spielraum, sondern auch bezüglich der Art. Es ist ihm überlassen, seiner Verpflichtung zur Gewährleistung des existenzsichernden Minimums durch Geld, Sachleistungen oder einer Kombination nachzukommen. Was da zweckmäßig ist, muss die Politik entscheiden.”

Wenngleich diese Äußerungen weitgehend korrekt sind, ist doch der Maßstab falsch benannt: Nicht die Zweckmäßigkeit entscheidet, sondern die Menschenwürde! So sind Sachleistungen wie die erwähnten Schulbücher oder Taschenrechner allenfalls so zu gewähren, dass die Menschenwürde davon unbeeinträchtigt bleibt, also vor allem nicht vor aller Augen in der Schulklasse! Die Aussage hingegen, dass die kaputte Waschmaschine ein “einmaliger Sonderbedarf” sei, der “von der Regelleistung abgedeckt” werde und “kein Härtefall” sei, ist zynisch und wird von seinem eigenen Urteil nicht gedeckt. Die Regelleistung deckt definitionsgemäß das alltägliche Existenzminimum ab und niemand wird behaupten wollen, dass Waschmaschinen jeden Monat kaputtgehen! Umgekehrt ist ein “Ansparen” für den Ersatz einer kaputten Waschmaschine menschenwürdigerweise unmöglich, da der Gesetzgeber – wie schon im Gesetzgebungsprozess des gültigen Sozialgesetzbuches II – allzu leicht in die Versuchung geraten wird, das Ansparen zwar für viele diverse “Sonderbedarfe” vorzusehen, aber keine Lösung für den Fall vorzugeben, dass mehrere der “Sonderbedarfe” zur gleichen Zeit oder überhaupt zur Unzeit anfallen.

Wolfgang Lieb bemerkte in den NachDenkSeiten: “Es ist unglaublich, dass ein scheidender Präsident des Gerichts nachträglich Interpretationen des Urteils liefert, die sich so aus dem Urteil selbst gewiss nicht ableiten lassen.

Die hier wiedergegebenen Aussagen lassen mich an der aktuellen Geistesverfassung von Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier zweifeln: Er versteht sein eigenes Urteil nicht! Die Regelleistung nach Hartz IV etwa hat er doch expressis verbis an die Menschenwürde (Artikel 1 Grundgesetz) angeknüpft. Damit erledigt sich jeder Gedanke an eine Obliegenheit ganz zwanglos. Das ALG II ist die Leistung der Gesellschaft an Menschen, die von der Gesellschaft aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen werden. Es sind nicht die Leistungsberchtigten, die eine Obliegenheit gegenüber der Gesellschaft haben – die Gesellschaft hat vielmehr den Langzeitarbeitslosen gegenüber die verdammte Pflicht, für Vollbeschäftigung zu sorgen. Es handelt sich dabei keineswegs nur um eine Obliegenheit, da sich Erwerbspersonen – zumindest in diesem hofentlich bald überwundenen Kapitalismus – noch immer über ihre Erwerbsarbeit als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft definieren!

Auch hat sein eigenes “Hartz-IV-Urteil” vom 9. Februar dafür gesorgt, dass Leistungskürzungen als verfassungswidrig eingestuft wurden. Das steht zwar nicht explizit im Urteil. Da aber der Regelsatz als allerunterste, von der Menschenwürde abhängige Grenze eingezogen wurde, wörtlich: “Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG.” (Randziffer 136) und: “Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt.” (Randziffer 137), sind Leistungskürzungen ausgeschlossen, da die Leistung dann hinter das Existenzminimum zurückfallen und automatisch gegen die Menschenwürde verstoßen würde.

Das Bundessozialgericht hat am 18. Februar darüber hinaus geurteilt, dass über Sanktionen “konkret, verständlich, richtig und vollständig” belehrt werden müsse – was die ARGE vor unüberwindliche Probleme stellt, da das Sozialgesetzbuch II für Sanktionen KEINERLEI Zweck vorsieht, man darüber also auch niemals vollständig belehren kann.

Sanktionen sind daher verfassungswidrig und gesetzwidrig und sollten nach Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz behandelt werden; andere Abhilfe hat das Bundesverfassungsgerichtsurteil wiederum wörtlich ausgeschlossen.

(Die vier letzten Absätze stellen die Leserkommentare dar, die ich versuchte, bei den beiden AZ-Artikeln unterzubringen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sie noch veröffentlicht werden; die Wahrscheinlichkeit ist jedoch eher gering…)

San Hartzvier

1. Ich fordere das Ende von Hartz IV,
Es schickt die Menschen draußen vor die Tür.
Weil es nur Unrecht und nur Armut bringt,
Und weil es jedermann zur Arbeit zwingt.

2. Was nach dem Grundgesetz verboten ist,
Es sei denn, dass du eingekerkert bist.
Man fragt nicht mehr danach, das sagt genug.
Hartz IV gleicht einem offenen Vollzug.

3. Die Strafen dienen nur der Disziplin,
Der Staat will dich zur Fügsamkeit erziehn.
Er treibt sein Spiel, solang bis nichts mehr geht,
Und setzt am Ende dich auf Nulldiät.

4. Die Pisa-Studie bringt es an den Tag
Wieviel man an Talent verschleudern mag.
Gewinne steigen, Löhne bleiben tief,
Ein-Euro-Jobber gibts zum Nulltarif.

5. Bedenkt doch das Schmarotzer-Argument,
Wer nichts schafft, bekommt auch keinen Cent.
Im Altersheim seid ihr dann selbst bedroht,
Ihr könnt nicht mehr, drum gibts den Gandentod.

6. Hinweg mit der Agenda Zwanzigzehn!
Am besten wärs, man würd’ sie nicht mehr sehn.
Die Hartz-Gesetze sind der letzte Stuss,
Beseitigt sie und macht mit ihnen Schluss!

Melodie: “San Quentin” von Johnny Cash
Die Akkord-Begleitung besteht aus den üblichen dreien mit zwei Subdominanten in der zweiten und dritten Zeile.

Der Verfasser ist der Redaktion bekannt.

Auch Hartz4-Plattform sieht Sanktionsparagraphen gekippt

Wie wir meint auch die Wiesbadener Hartz4-Plattform, dass schon mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Sanktionsparagraph des SGB II gekippt wurde (PDF). Als “Lackmus-Test” sah man in Wiesbaden das sich auf dieses Urteil beziehende Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.02.2010, von dem man sich denn auch bestätigt sah (PDF): “Ab sofort muss niemand mehr Leistungskürzungen im Rahmen des Paragraph 31 SGB II hinnehmen.” Die strengen Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung, die dem individuellen Einzelfall angepasst und “konkret, verständlich, richtig und vollständig” sein müssten, seien nach dem Urteil der Bundessozialrichter vor allem deshalb geboten, weil es sich bei der Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen, wie aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 hervorgehe, um einen schwerwiegenden Eingriff handele.

Ein Satz aus der Presseerklärung des Bundessozialgerichts hat für die Wiesbadender Hartz4-Plattform herausragende Bedeutung: “Da der Absenkungsbescheid schon wegen der unzulänglichen Rechtsfolgenbelehrung aufzuheben war, war nicht darüber zu entscheiden, ob die im Bescheid angeordnete völlige Streichung der Regelleistung für einen Zeitraum von drei Monaten zulässig war.” Dass sie nicht zu prüfen gehabt hätten, ob die Sanktion verfassungswidrig sei, wäre “ein an Deutlichkeit nicht zu überbietender Wink mit dem Zaunpfahl an alle Verwaltungen und Sozialgerichte”. Mir erscheint das eher wie der feige Rückzieher, eine Frage des allgemeinen Interesses endgültig zu klären, bevor auch diese wieder am Bundesverfassungsgericht hängenbleibt. Warum traut man sich nur nicht, etwas so Offenkundiges auszusprechen? Zumal man damit zum Helden der breiten Massen werden würde?!

Bundessozialgericht entscheidet gegen Sanktionierung

In seiner Entscheidung vom 18.02.2010 hat das Bundessozialgericht an der Oberfläche zwar nur eine Sanktion für hinfällig erklärt, in der Tiefe des Urteils steckt aber wesentlich mehr: Indem das BSG sich explizit auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil bezieht, demzufolge eine Sanktion einen “schwerwiegenden Eingriffin ein Grundrecht wie eben das soziokulturelle Teilhabeminimum darstellt, müsse jede/r Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung “konkret, verständlich, richtig und vollständig” belehrt werden, damit die Umsetzung der in Betracht kommenden Verhaltensanweisungen und möglicher Maßnahmen auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls überhaupt gelingen kann.

Aber wie soll das gehen, wenn das SGB II für Sanktionen weder Zweck noch Begründung vorsieht? Der Paragraph 31 SGB II sagt lediglich aus, dass und aus welchem Anlass eine Sanktion eintritt. Aber auch bei einer Revision des SGB II zum Jahresende sehe ich kaum einen Spielraum für den asozialen Gesetzgeber: Die Grundrechte einzuschränken, da braucht es schon etwas mehr als eine “Meldepflichtverletzung” oder eine – nach Artikel 12 GG unbenommen bleibende – Ablehnung eines Stellenangebots!

Tacheles: Überprüfungsanträge NICHT zurückziehen!

Inzwischen ruft auch die Sozialhilfeinitiative Tacheles dazu auf, die von ihr selbst angestoßenen Überprüfungsanträge (und alle etwaige in Anspruch genommenen Rechtsbehelfe) nicht zurückzuziehen! Während auch unser Argument unverändert gilt (eine neue – und dann letzte – Chance für das Bundesverfassungsgericht durch die Instanzen zu initiieren, das Sozialstaatsgebot auch rückwirkend zu sichern), hat Tacheles seine Meinung geändert, weil am 18.02.2010 (also nur 9 Tage nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil) das Bundessozialgericht entschieden hat (BSG v. 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R), dass sowohl die Ansprüche des aktuellen BMAS- bzw. BA-Katalogs zur Härtefallregelung des BVerfG als auch “durchaus weitere Ansprüche” (wie der Vorsitzende des 4. Senats, Thomas Voelzke, bei der Urteilsverkündung zudem klargestellt hatte, weil die Härtefallliste der BA/des BMAS keinesfalls eine abschließende Liste sei) auch rückwirkend bestünden, falls die jeweiligen Bescheide noch nicht rechtskräftig sind und nach der individuellen Prüfung des Einzelfalls ein derartiger Anspruch zu bejahen ist. Und welcher Bewilligungsbescheid ist denn schon rechtskräftig?

Entsprechend dieser Bedarfslagen wird Tacheles in der nächsten Zeit eine fundierte Liste erarbeiten und sie der Härtefallliste von BA/BMAS entgegenhalten, in der die jeweiligen möglichen Bedarfe konkretisiert werden. Wenn solche Bedarfe bestanden haben, müsste der Überprüfungsantrag dahingehend konkretisiert werden und dann das Rechtsmittelverfahren weiter betrieben werden. Tacheles wird dazu entsprechende Musterschriftsätze fertigstellen, worin zumindest die Richtung der Konkretisierung aufgezeigt wird.

Sollten dahingehende Bedarfe derzeit und aktuell vorliegen, empfiehlt es sich, diese unverzüglich beim SGB-II-Leistungsträger zu beantragen. Werden diese abgelehnt oder reagiert die Behörde nicht zeitnah, sollte unverzüglich der Anspruch auf dem Wege einer Eilklage über das Sozialgericht durchgesetzt werden.

Erwerbslosenfrühstück in Mainz

Seit Januar 2010 bietet auch die Arbeitsloseninitiative “KAKTUS” am 1. Mittwoch jedes Monats zwischen 9 Uhr und 11 Uhr zum Erwerbslosenfrühstück an, das im Matthäussaal (hinter der Christuskirche) stattfindet.

Nächster Termin (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blog-Beitrags): Mittwoch, den 3. März 2010

Schon länger hat sich die Tradition des Erwerbslosenfrühstücks bei der Partei DIE LINKE. Mainz-Stadt etabliert, das am 3. Sonntag jedes Monats in der Landesgeschäftsstelle, Rochusstraße 10-12, ab 10:30 bis 13:30 Uhr stattfindet. Neben dem Frühstück “zum Austauschen von Problemen und Tipps” steht außerdem “unser Anwalt mit juristischer Fachkenntnis zur Seite”.

Nächster Termin (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blog-Beitrags): Sonntag, den 21. Februar 2010

Pressespiegel zur Jeden-Monat-Demo im Februar 2010

Aus der Serie “Hartz IV – Gelobt, gehasst, gescheitert?” in der MRZ vom 19.02.2010:

Hartz-IV-Empfänger fühlen sich von Westerwelle diffamiert

Wie ein Dutzend Demonstranten in Mainz Parolen und Plakate schwingt

von Rena Lehmann

MAINZ.  Während die Bundespolitik über Hartz IV streitet, trägt in Mainz ein Dutzend Hartz-IV-Empfänger Plakate durch die Stadt. Die Mitglieder der Mainzer Initiative “Gegen Hartz IV” sind sauer auf Guido Westerwelle. Die “spätrömische Dekadenz”, die er bei den Beziehern staatlicher Hilfen beobachtet haben will, ist in ihren Ohren “Volksverhetzung”. Deshalb sind diesmal sogar ein paar mehr Leute als sonst bei der “Jeden-Monat-Demo” in der Mainzer Innenstadt. Ein Kamerateam filmt, auch das kam schon länger nicht mehr vor. Hartz IV ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts großes Thema. Endlich, meinen die Demonstranten. “Das Gericht hat bestätigt, was wir lange wussten: Hartz IV verstößt gegen die Menschenwürde”, sagt Manfred Bartl.

Fehlende Masse wird von den Demonstranten mit starken Worten und großen Plakaten ausgeglichen. “Mit der Härtefallregelung werden alle Alg-II-Empfänger über einen Kamm geschoren. Aber jeder Hartz-IV-Empfänger ist ein Einzelfall”, wiederholen sie gebetsmühlenartig. Manche Passanten blicken belustigt auf die Truppe, einige bleiben stehen, wenige suchen das Gespräch. “Die Menschen sind schlecht informiert. Und wir wissen nicht, wie wir die Arbeitslosengeld-II-Empfänger erreichen sollen”, sagt eine Teilnehmerin. Eine Zeitung könnten sich die meisten nicht leisten. Außerdem glaubten viele Hartz-IV-Empfänger, sie stünden allein da. “Sie sind resigniert und leiden still zu Hause.” Der Marsch dauert nur eine knappe halbe Stunde. Auf dem Gutenbergplatz, wo sonst immer die Abschlusskundgebung stattfindet, laufen noch die Aufräumarbeiten nach den närrischen Tagen. Deshalb ist heute vor dem Verdi-Haus am Münsterplatz Schluss. Sollen sie trotzdem eine Kundgebung machen? Unentschlossen blicken alle in die Runde. Schließlich sagt einer ein paar Worte. Die hier Versammelten wissen ohnehin, worum es ihnen geht: Hartz IV muss weg.

Am lautesten ruft Werner Feig diese Parole. Er hatte vom bayrischen Regensburg aus die Geschichte des arbeitslosen Henrico Frank verfolgt. Ministerpräsident Kurt Beck riet ihm, “sich zu rasieren” – dann würde er auch einen Job finden. Der Fall schrieb Schlagzeilen. Schließlich sorgte der Ministerpräsident selbst dafür, dass der Mann ein Stellenangebot erhielt. Der lehnte jedoch aus gesundheitlichen Gründen ab. Feig nutzte die Gelegenheit und bewarb sich von Regensburg aus auf die Stelle. Für ihn sah anfangs alles so aus, als würde es mit einer Arbeit in Mainz klappen. Feig zog von Bayern nach Rheinland-Pfalz – doch der Arbeitgeber zog sein Angebot zurück. Die Mainzer und die Regensburger Arge schoben sich daraufhin die Zuständigkeit für Feig hin und her, wie er sagt. Vor ihm liegt ein dicker Ordner mit Akten, der seinen Papierkrieg mit den Argen enthält. “Mit den Anträgen bin ich stärker beschäftigt, als wenn ich eine Arbeit hätte.” Sein Blick sagt: Wo ich hinkomme, widerfährt mir Ungerechtigkeit. Sein Mitstreiter Manfred Bartl fährt seit Monaten aus Protest schwarz. 15 Euro sind im Hartz-IV-Regelsatz von 359 Euro für Mobilität vorgesehen, das Mainzer Sozialticket ist mit knapp 50 Euro aber mehr als dreimal so teuer. Es ist nur eine von vielen Ungerechtigkeiten, die das Gesetz und seine Praktiken aus seiner Sicht bedeuten. Vier Berufe kann er, wie er sagt, und bezeichnet sich selbst nicht als arbeits-, sondern als erwerbslos. Er will sich “dieser Gesellschaft verweigern”, solange sie nicht Mindestlöhne und eine 30-Stunden-Woche einführt. So wie er müssten es viele machen, meint er. “Die Menschen dürften einfach keine Job annehmen, bei denen Niedriglöhne gezahlt werden. Aber die Leute lassen das alles mit sich machen.” Eine andere Teilnehmerin wiegelt bei seinen Worten ab: Sie will sich nicht verweigern, ärgert sich aber, dass im Job-Center dauert ihr Arbeitsvermittler wechselt und niemand sie ernsthaft beraten kann.

Ob Bartl auch seinen Kindern später zu Verweigerung raten will? “Dazu wird es gar nicht kommen”, erklärt er im Brustton der Überzeugung. Bis dahin werde es keine Job-Center mehr geben. Und auch kein Hartz IV. Wie es scheint, glaubt er selbst tatsächlich daran.

Bewertung des Job-Centers

Wer anderen Betroffenen ihre oder seine Erfahrungen mit dem Job-Center Mainz mitteilen möchte, kann bei sozialhilfe24.de eine detaillierte Bewertung inkl. Freitextkommentar abgeben. Die Einzelbewertung fließt in eine sehr aufschlussreiche gemittelte Gesamtbewertung ein.

Einige der 60 bisher abgegebenen Kommentare deuten daraufhin, dass die Betroffenen in Mainz noch sehr viel mehr Informationen, Beistand und Miteinander gebrauchen können, wobei die Dunkelziffer noch wesentlich höher angesetzt werden muss, da viele Leistungsberechtigte nach Hartz IV (bisher!) zeitweise ohne Internet hatten auskommen müssen oder – aus diversen Gründen – nie einen eigenen Zugang zum Internet besessen hatten.

Aufruf zur 10. Jeden-Monat-Demo

Die Jeden-Monat-Demo am Aschermittwoch 2010 startet wie gewohnt um 12 Uhr bei ver.di am Münsterplatz in Mainz. Anders als sonst üblich findet die Abschlusskundgebung allerdings nicht auf dem Gutenbergplatz statt, sondern wieder auf dem Münsterplatz. Der Rundkurs der Demo ist “Fastnachtsrückständen” geschuldet.

Themen sind u.a. Kinderarmut und das – bahnbrechende und nichtsdestotrotz viel zu zurückhaltende – Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zum Eckregelsatz, zur Menschenwürde nach Artikel 1 Grundgesetz als Grundlage des gesetzlichen Anspruchs auf soziokulturelle Mindestteilhabe und zu spezifischen Kinderbedarfen sowie der sozialrassistische Schub, den die öffentliche Meinung seitdem durch die volksverhetzenden Äußerungen von Außenminister Westerwelle erfahren hat.