Pressespiegel zur Jeden-Monat-Demo im Februar 2010

Aus der Serie “Hartz IV – Gelobt, gehasst, gescheitert?” in der MRZ vom 19.02.2010:

Hartz-IV-Empfänger fühlen sich von Westerwelle diffamiert

Wie ein Dutzend Demonstranten in Mainz Parolen und Plakate schwingt

von Rena Lehmann

MAINZ.  Während die Bundespolitik über Hartz IV streitet, trägt in Mainz ein Dutzend Hartz-IV-Empfänger Plakate durch die Stadt. Die Mitglieder der Mainzer Initiative “Gegen Hartz IV” sind sauer auf Guido Westerwelle. Die “spätrömische Dekadenz”, die er bei den Beziehern staatlicher Hilfen beobachtet haben will, ist in ihren Ohren “Volksverhetzung”. Deshalb sind diesmal sogar ein paar mehr Leute als sonst bei der “Jeden-Monat-Demo” in der Mainzer Innenstadt. Ein Kamerateam filmt, auch das kam schon länger nicht mehr vor. Hartz IV ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts großes Thema. Endlich, meinen die Demonstranten. “Das Gericht hat bestätigt, was wir lange wussten: Hartz IV verstößt gegen die Menschenwürde”, sagt Manfred Bartl.

Fehlende Masse wird von den Demonstranten mit starken Worten und großen Plakaten ausgeglichen. “Mit der Härtefallregelung werden alle Alg-II-Empfänger über einen Kamm geschoren. Aber jeder Hartz-IV-Empfänger ist ein Einzelfall”, wiederholen sie gebetsmühlenartig. Manche Passanten blicken belustigt auf die Truppe, einige bleiben stehen, wenige suchen das Gespräch. “Die Menschen sind schlecht informiert. Und wir wissen nicht, wie wir die Arbeitslosengeld-II-Empfänger erreichen sollen”, sagt eine Teilnehmerin. Eine Zeitung könnten sich die meisten nicht leisten. Außerdem glaubten viele Hartz-IV-Empfänger, sie stünden allein da. “Sie sind resigniert und leiden still zu Hause.” Der Marsch dauert nur eine knappe halbe Stunde. Auf dem Gutenbergplatz, wo sonst immer die Abschlusskundgebung stattfindet, laufen noch die Aufräumarbeiten nach den närrischen Tagen. Deshalb ist heute vor dem Verdi-Haus am Münsterplatz Schluss. Sollen sie trotzdem eine Kundgebung machen? Unentschlossen blicken alle in die Runde. Schließlich sagt einer ein paar Worte. Die hier Versammelten wissen ohnehin, worum es ihnen geht: Hartz IV muss weg.

Am lautesten ruft Werner Feig diese Parole. Er hatte vom bayrischen Regensburg aus die Geschichte des arbeitslosen Henrico Frank verfolgt. Ministerpräsident Kurt Beck riet ihm, “sich zu rasieren” – dann würde er auch einen Job finden. Der Fall schrieb Schlagzeilen. Schließlich sorgte der Ministerpräsident selbst dafür, dass der Mann ein Stellenangebot erhielt. Der lehnte jedoch aus gesundheitlichen Gründen ab. Feig nutzte die Gelegenheit und bewarb sich von Regensburg aus auf die Stelle. Für ihn sah anfangs alles so aus, als würde es mit einer Arbeit in Mainz klappen. Feig zog von Bayern nach Rheinland-Pfalz – doch der Arbeitgeber zog sein Angebot zurück. Die Mainzer und die Regensburger Arge schoben sich daraufhin die Zuständigkeit für Feig hin und her, wie er sagt. Vor ihm liegt ein dicker Ordner mit Akten, der seinen Papierkrieg mit den Argen enthält. “Mit den Anträgen bin ich stärker beschäftigt, als wenn ich eine Arbeit hätte.” Sein Blick sagt: Wo ich hinkomme, widerfährt mir Ungerechtigkeit. Sein Mitstreiter Manfred Bartl fährt seit Monaten aus Protest schwarz. 15 Euro sind im Hartz-IV-Regelsatz von 359 Euro für Mobilität vorgesehen, das Mainzer Sozialticket ist mit knapp 50 Euro aber mehr als dreimal so teuer. Es ist nur eine von vielen Ungerechtigkeiten, die das Gesetz und seine Praktiken aus seiner Sicht bedeuten. Vier Berufe kann er, wie er sagt, und bezeichnet sich selbst nicht als arbeits-, sondern als erwerbslos. Er will sich “dieser Gesellschaft verweigern”, solange sie nicht Mindestlöhne und eine 30-Stunden-Woche einführt. So wie er müssten es viele machen, meint er. “Die Menschen dürften einfach keine Job annehmen, bei denen Niedriglöhne gezahlt werden. Aber die Leute lassen das alles mit sich machen.” Eine andere Teilnehmerin wiegelt bei seinen Worten ab: Sie will sich nicht verweigern, ärgert sich aber, dass im Job-Center dauert ihr Arbeitsvermittler wechselt und niemand sie ernsthaft beraten kann.

Ob Bartl auch seinen Kindern später zu Verweigerung raten will? “Dazu wird es gar nicht kommen”, erklärt er im Brustton der Überzeugung. Bis dahin werde es keine Job-Center mehr geben. Und auch kein Hartz IV. Wie es scheint, glaubt er selbst tatsächlich daran.

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