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Pressespiegel zum 1. Mai 2010

Die “Allgemeine Zeitung” schrieb am Montag, den 3.05.2010:

Mainz
Kritik an Dumping-Löhnen

Von Christopher Spies

MAIKUNDGEBUNG – DGB fordert Politik zum Handeln auf

Der Regen prasselte auf den Marktplatz, kein Sonnenstrahl lugte hinter den Wolken hervor: Wer den Tag der Arbeit auf der Kundgebung des DGB Rheinhessen-Nahe verbringen wollten, durfte den Regenschirm nicht vergessen. Dem Wetter geschuldet tummelten sich also vor dem Dom nicht gerade Menschenmassen. Allerdings ließen sich die Gewerkschafter ihren Tag nicht verderben: Lieber Regen als ein Aufmarsch von Rechtsextremen wie im vergangenen Jahr, dachte wohl mancher.

„Die Krise darf nicht missbraucht werden, um Arbeitnehmerrechte zu missbrauchen“, sagte Wolfgang Kron, Vorsitzender des DGB Rheinhessen-Nahe. Die Schieflage der Wirtschaft sei nicht den Arbeitern zuzuschreiben, sondern windigen Spekulanten. Die Gewerkschaften hätten entschieden dazu beigetragen, einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern.

Hilmar Höhn vom Berliner Verbindungsbüro der IG BCE kritisierte Niedriglöhne: „Die Dumping-Gesetze aus den vergangenen Jahren müssen rückgängig gemacht werden.“ Es sei mittlerweile Alltag in Deutschland, dass für gute Arbeit schlechter Lohn bezahlt werde. Die Gewerkschaften müssten geschlossen gegen diese Entwicklungen vorgehen, sagte Höhn. Dazu bedürfe es auch einer größeren Mitbestimmung in den Unternehmen.

Alexander Berg von der IG BCE-Jugend forderte mehr nachhaltiges Arbeiten von der Politik: Zu viele junge Menschen arbeiteten zu Niedriglöhnen oder seien gänzlich ohne Beschäftigung – dem müsse durch eine durchdachtere Politik Einhalt geboten werden.

Im vorigen Jahr hatte Mainz den Ärger – nun trifft es Wiesbaden: Am 8. Mai wollen Rechtsextreme in Erbenheim demonstrieren. Anne Weninger von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) rief dazu auf, den Rechten entschlossen entgegen zu treten. Sie erinnerte an die Verbrechen im Dritten Reich und die damalige Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Manfred Bartl von der Mainzer Initiative gegen Hartz IV brachte seine Sorge zum Ausdruck, dass der Mensch immer mehr durch neue Techniken ersetzt werden könnte. So durch einen Elektro-Chip, der in Supermärkten das Kassenpersonal arbeitslos machen könnte. Der Einkaufswagen würde automatisch gescannt – menschliche Kontrolle überflüssig. Hüseyin Kaya erinnerte an die internationale Solidarität der Arbeiterbewegung: „Wir sind die Schöpfenden in den Fabriken und Zechen – das sollte niemand vergessen.“

Unser Redebeitrag zur Maikundgebung

Bei der Maikundgebung des DGB Rheinhessen-Nahe zum Tag der Arbeit auf dem Marktplatz in Mainz sprach Manfred Bartl von der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV. Hier das Manuskript der Rede:

Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Mainzerinnen und Mainzer!
HEY, ARBEITERKLASSE!

Mein Name ist Manfred Bartl und ich spreche auf der Mai-Kundgebung 2010 zu Euch im Namen der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV und als Mitorganisator der Mainzer Jeden-Monat-Demo am 3. Mittwoch jedes Monats.

Dem Deutschen Gewerkschaftsbund gebührt ein Dank für die Rückführung des 1. Mai als Tag der Arbeit ins Herz der Mainzer Öffentlichkeit! Ich wünsche Euch in diesem Sinne zahlreiche Gelegenheiten, über Arbeit, Gute Arbeit und Erwerbslosigkeit diskutieren zu können!

In diesem Spannungsfeld steht auch mein Thema:

RFID
oder auf Englisch Ar Eff Ei Die

Dieses Akronym RFID ist allen bekannt? Das sagt allen etwas?

Das Akronym RFID kommt aus dem Englischen und steht für „Radio-Frequency Identification“, auf Deutsch: „Identifizierung mithilfe von elektromagnetischen Wellen“. RFID ermöglicht die automatische Identifizierung und Lokalisierung von Gegenständen im elektromagnetischen Feld und gestattet damit die berührungslose Erfassung von Verkehrsdaten.

Ein RFID-System besteht aus einem Transponder-Chip, dem „RFID-Tag“, der sich am Gegenstand bzw. seiner Verpackung befindet, und einem Lesegerät. Dieses erzeugt ein elektromagnetisches Hochfrequenzfeld geringer Reichweite, mit dem der Transponder zunächst mit Energie versorgt wird und in dem anschließend die gespeicherten Daten übertragen werden. Die unerhörten Vorteile dieser Technik ergeben sich aus der Kombination der Kleinheit der RFID-Tags, die so klein wie ein Reiskorn sein können, der Leichtigkeit und Unauffälligkeit der Auslesung und dem geringen Preis der RFID-Tags.

Haupteinsatzgebiete für RFID sind die Supply Chain, Selbstzahlerkassen im Einzelhandel und allgemein das Identifikationswesen, z. B. mit dem ePass oder der entsprechend gechippten ecCard. Da es mir vor allem um die Arbeitsmarktauswirkungen von RFID geht, sind die beiden erstgenannten Bereiche die interessantesten. Rund um RFID sind auch andere Themenfelder berührt, zunächst der Datenschutz im Allgemeinen – hier vor allem der Arbeitnehmerdatenschutz – und darüber hinaus die Aussicht auf einen rein bargeldlosen Zahlungsverkehr im Besonderen, die de facto hinführt zum „Großen Bruder“, der Totalüberwachung; doch die sollen heute nicht zur Sprache kommen.

Bitte beachtet daneben auch, dass es mir im Wesentlichen nicht um diese Technik geht, sondern um das System und die Chance auf eine Neujustierung des Arbeitsmarktes, um den gesellschaftlichen Nutzen für uns Erwerbspersonen sowie um den Nutzwert, der dem Kapitalisten aus einer solchen oder ähnlichen Technik erwächst und der aufgrund der Profitbegierlichkeiten der Unternehmer (leider) noch immer den Motor solcher Entwicklungen darstellt.

Was tut sich rund um RFID?

Der ver.di Fachbereich Handel hat eine umfangreiche Broschüre „RFID Basisinformation – Was Betriebsräte über den Einsatz von Funkchips wissen sollten“ (PDF) herausgegeben. Darin geht es nicht allein um Wissen zum Wesen der Technik und um mögliche Anwendungen (Best Practice), es sind auch Handlungsanleitungen für Betriebsräte enthalten, allerdings ohne Orientierungshinweise für die Standortbestimmung des Betriebsrates! Der Betriebsrat verfügt in der Regel nur über eine eingeschränkte betriebliche Perspektive, z.B. die Arbeitslosigkeit der eigenen Belegschaft verhindern zu wollen.

Bibliotheken etwa nutzen RFID als Instrument zur schnellen Erfassung von zu entleihenden und zurückzugebenden Büchern, worin RFID gegenüber dem Vorgängersystem Barcode kaum einen Vorteil bietet. Zugleich ist das RFID-Tag aber auch ein Diebstahlschutz.

RFID soll nach den Vorstellungen von effizienzorientierten Unternehmern (und manchem Verbraucherschützer) die Lieferkette oder auf Neudeutsch die Supply Chain – vom Herkunftsort über die Transportwege bis ins Regal – überwachen. Warenein- und –ausgänge (selbst wenn die Produkte hintereinander gelagert und Etiketten verdeckt wären), Nachbestellungen aus den Läden, Lieferungen in die Märkte sowie Wareneingangsbuchungen laufen alle automatisch kontrolliert und gesteuert ab. Leicht verderbliche Waren können auf Überschreitung des Haltbarkeitsdatums kontrolliert und rechtzeitig aus dem Verkauf genommen werden. Zähl-, Such- und Sortierprozesse durch Arbeitskräfte entfallen. Die Logistikkette steht, wenn die Lagerkapazitäten optimiert, Lieferungsspitzen just-in-time abzufangen und logistisch bedingte Ausfälle minimiert und dementsprechend alle relevanten Informationen stets verfügbar sind.

Dem Einzelhandel steht laut ver.di eine zweite Selbstbedienungswelle bevor. Die Akzeptanz von Selbstzahlerkassen wird überall getestet. Bei Self-Checkout-Kassen fällt nur das Personal weg; das System beruht unverändert auf Barcodes und Scannerkasse. Eine gewaltige Rolle spielt gerade RFID aber im „METRO Future Store“ in Rheinberg. Dort werden „Technologien getestet, die das Einkaufen für Kunden einfacher und bequemer machen sollen“: „mit Selbstzahlerkasse, Info-Terminals, die Rezeptvorschläge liefern, intelligenten Waagen, die Äpfel von Birnen unterscheiden können, einem Einkaufberater als Computer am Einkaufswagen, der Produktinformationen und Preise anzeigt, elektronischen Werbedisplays und Preisschildern“.

Den Einkaufsabschluss muss man sich so vorstellen, dass man mit dem vollen Einkaufswagen einfach zur Tür hinausspaziert, dann macht es einmal „Pieps“ als Signal, dass die Preise aller Waren im Wagen erfasst wurden, und ein weiteres Mal macht es „Pieps“, wenn die Summe per RFID-gechippter ecCard erfolgreich vom Konto des Kunden abgebucht wurde. Keine Warteschlangen, kein Rumräumen. Mit den Augen eines unschuldigen Kindes betrachtet ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der heutigen Situation!

„Die Folgen der RFID-Technik für die Arbeitsplätze im Handel (…) werden unterschiedlich eingeschätzt. Personalabbau hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wird jedes einzelne Produkt getaggt und übernehmen die Kundinnen/Kunden das Kassieren selbst, indem sie einen Tunnelscanner passieren, so ist Kassenpersonal überflüssig.“ „Eine Aufsichtsperson bleibt, mehrere Kassierer/-innen gehen.“ „Mit den Automatisierungen gehen viele Arbeitsplätze verloren“, „selbst wenn die erzielten Rationalisierungseffekte teilweise dazu dienen, dort mehr Personal zu beschäftigen, wo es der Wertschöpfung und der Ankurbelung des Verkaufs dient.“ „Nur in den Geschäften, in denen die persönliche Bedienung und Beratung der Kunden noch wesentlicher Bestandteil der Verkaufsphilosophie ist, vermag RFID vorerst wenig zu verändern.“

Die Zitate decken einen ironischen Aspekt beim sich vor unseren Augen abspielenden Entwicklungsprozess auf: Man will menschliche MitarbeiterInnen durch RFID-Technologie einsparen, die das Einkaufen für Kunden einfacher und bequemer machen, z.B. intelligente Waagen bereitstellen, und Rezeptvorschläge liefern soll. Als ob menschliche MitarbeiterInnen Äpfel nicht von Birnen unterscheiden könnten… Als ob robotische Bedienung für mehr Bequemlichkeit sorgen könnte als die Beratung durch kompetentes (und auch intuitives) menschliches Personal…

Ich will niemandem Angst einjagen, aber

  • wenn man den Kapitalisten den Schritt zur Einführung von RFID allein überlässt,
  • wenn man berücksichtigt, dass die gesellschaftliche Spaltung in Arm und Reich so rasant zunimmt und die „Ankurbelung des Verkaufs“ mittels menschlichen Personals nur noch dort noch eine Rolle spielt, wo man sich eine „Verkaufsphilosophie“ leisten kann (bei der „Tafel“ wird es keinen RFID-Reader geben…),
  • und wenn man nur die Betriebsratsebene anstrengt, um die schlimmsten Auswirkungen abzumildern,

dann wird man mit – Hausnummern jetzt – 500 000 bis 1,5 Millionen zusätzlichen Arbeitslosen rechnen müssen (wobei zusätzliche Arbeitsplätze rund um die RFID-Technik kaum ins Gewicht fallen dürften). Die Umstellung wird,  prescht einer erst einmal vor, obendrein sehr rasch durchgeführt werden, weil die Einsparpotenziale enorm hoch sind (Ich sage nur: „50 Prozent der Personalkosten des Lebensmittel-Einzelhandels fließen in die Arbeit an der Kasse“!), und dann wird sich auch REWE nicht davon abhalten lassen, obwohl gerade erst offenbar für die ganze REWE-Gruppe (also etwa auch für PENNY) neue Kassen für eine effizientere Bedienung durch menschliches Kassenpersonal angeschafft wurden. REWE gehört neben der METRO ohnehin zu den RFID-Vorreitern.Schwerpunkt der Diskussion um RFID sollte aber die Frage sein, inwiefern die vom DGB eingeforderte „Gute Arbeit“ an einer Kasse überhaupt umgesetzt werden kann, wenn diese Arbeit weder in Produktion, noch Dienstleistung (und damit meine ich Dienstleistung am Kunden), noch gesellschaftlich relevante Vermittlungsleistung einzuordnen ist, weil sie allein dem Kapitalisten dient, der im jetzigen System nur auf diese Weise sein Inventar zeitnah erfassen kann. Die dem Kunden entstehende Notwendigkeit des Aus- und Wiedereinräumens eines Einkaufswagens am Band und die Wartezeiten an der Kasse sind zusätzlich auftretende Kollateralschäden für die Kunden. Aus gesellschaftlicher wie volkswirtschaftlicher Sicht sind diese Kollateralschäden nicht hinzunehmen. Der „Frau an der Kasse“ im „ALDIteuerland“ steht mit RFID wohl der Gang in die Arbeitslosigkeit bevor.

Ein Kernsatz der Broschüre lautet: „Wenn aus Kostengründen [und da kann man wohl deutlich passender von Kapitalismusgründen sprechen] Billig-Konzepte Priorität haben und interessante Kombinationen von technischer und menschlicher Dienstleistung auf dem Prüfstand stehen, dann wird erfahrungsgemäß das Personal durch die Technik ersetzt.“

Einzel- und Großhandel sind ein bedeutender Wirtschaftssektor und bieten ca. 3,5 Millionen Menschen Arbeit. Die Beschäftigtenzahl geht laufend zurück. Im Einzelhandel ist das Arbeitszeitvolumen seit 2000 um 10 Prozent gesunken, was etwa 200.000 Vollzeitarbeitsplätzen entspricht. Auch die Beschäftigtenstruktur hat sich stark verändert: Vollzeit- und sozial abgesicherte Teilzeitarbeit ist gesunken. Dagegen ist der Bereich der geringfügigen Beschäftigung mit sogenannten
Minijobs anteilmäßig gestiegen. Von 2,5 Millionen Einzelhandelsbeschäftigten hat heute bereits jeder Dritte nur noch einen Minijob.

Ein Verkaufsladen ohne Personal ist allerdings nicht die Vision der Gewerkschaft und auch nicht der Beschäftigten und wohl auch nicht der meisten VerbraucherInnen.

Betriebsräte sind mit negativen Folgen des RFID-Einsatz konfrontiert wie Arbeitsverdichtung und verstärkter Kontrolle der Beschäftigten. Daher rät ver.di Betriebsräten in der RFID-Broschüre, „sich zu informieren, zu interessieren und zu qualifizieren, damit sie ihre Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte bei der Einführung neuer Technologien wirksam ausüben können.“ Nach § 111 Satz 3 Nr. 4 Betriebsverfassungsgesetz ist zu Änderungen der Betriebsanlagen und nach § 111 Satz 3 Nr. 5 zu neuen Arbeitsmethoden – mit aufschiebender Wirkung – die Zustimmung des Betriebsrates einzuholen.

Doch lasst uns als Gewerkschafter und als Arbeiterbewegung oder Arbeiterklasse oder als was immer zeitgemäß wäre und wunderbar am 1. Mai diskutiert werden könnte  bedenken, dass Rationalisierung nicht nur dem kapitalistischen Primat der Profitmaximierung geschuldet ist, sondern auch im Kern unserer Zivilisation angelegt ist: Notwendige Arbeit soll zugunsten der Beschäftigung mit den Wissenschaften, den Künsten und dem Sozialen zurückgedrängt um nicht zu sagen: beseitigt werden.
Wohin die Reise gehen sollte, sah schon Konfuzius: „Such dir eine Arbeit, die du gerne tust. Dann brauchst du keinen Tag in deinem Leben mehr zu schuften.“
So sagt auch Götz Werner: „Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien.“
Oscar Wilde drückte es noch grundsätzlicher aus: „Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen.“

Wir von der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV sehen dementsprechend in der Arbeitslosigkeit, die allein von RFID oder einen ähnlichen Technik zusätzlich generiert wird, die Chance auf eine Neuaufstellung des Arbeitsmarktes. Schon heute wäre die offenkundigste und arbeitsorganisatorisch noch verhältnismäßig einfach durchzuführende Maßnahme zur Reduzierung einer Massenarbeitslosigkeit von derzeit 6 bis 8 Millionen Menschen eine Umverteilung des  Arbeitszeitvolumens durch eine 30-Stunden-Woche oder womöglich schon die 25-Stunden-Woche.

Wir nennen das Konzept „Arbeit fair teilen“ und haben bei attac Mainz die gleichnamige Arbeitsgemeinschaft gegründet, die am 2. Mittwoch jedes Monats im DGB-Haus zusammentrifft. Dort wollen wir theoretisch noch weiter vorpreschen, andere, auch unter die Idee von „Guter Arbeit“ fallende Aspekte einarbeiten und der Möglichkeit einer 5-Stunden-Woche nachgehen.

Dass Solidarität ähnlich wie die Wirtschaft mit ihren beiden Ebenen Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft zwei Sichtweisen haben kann, die unter Umständen einander gegenüberstehen, haben wir Mainzer gerade erst im Zusammenhang mit dem Kohlekraftwerk erlebt. Die Industrie-Betriebsräte solidarisierten die MitarbeiterInnen von KMW AG, Stadtwerke Mainz AG und MVG GmbH (und anderen) untereinander und reihten sich mit ihrer Forderung nach dem Bau eines Kohlekraftwerks (und der Sicherung ihrer und der Schaffung neuer regionaler Industriearbeitsplätze zur Sicherung der regionalen Wertschöpfung) (und pikanterweise mit von den Unternehmen finanzierten Transparenten) nahtlos in die Reihen der betrieblich Argumentierenden, u. a. der (städtischen) Unternehmer ein.  Sich mit dem Klassenfeind Schulter an Schulter wiederzufinden, sollte hingegen zu denken geben – das war sogar der Lokalredaktion der „Allgemeinen Zeitung“ in einem Kommentar zu dem Geschehen aufgefallen!

Nach innen mag das ein schönes Zusammengehörigkeitsgefühl ergeben haben, aber die Beschäftigten in Mainz – ich erwähnte die Arbeiterklasse und die Schwierigkeiten, diese heute eindeutig zu definieren – fühlten sich, gelinde gesagt, veräppelt, dass einige von ihnen sich gegen die Allgemeinheit stellten, die das Kohlekraftwerk aus nachvollziehbaren und guten Gründen ablehnt – zumal alternative Energien den Studien zufolge mehr und vor allem zukunftsträchtigere Arbeitsplätze generiert hätte. Ich sprach es in einer Stadtratssitzung an: Wenn Mainz mit dem zeitlichen Spielraum und der Investitionsbereitschaft, die auch am Kohlekraftwerk erkennbar geworden ist, ein Energiekonzept auf Basis von dezentralen Blockheizkraftwerken und regenerativen Energien hinbekommen hätte, dann wäre Mainz Weltmarktführer geworden!Warum soll man Solidarität aufbringen, bevor sie im Sinne des Gesamtzusammenhangs nötig ist? Solange wir uns vom Kapitalismus beherrschen lassen, dessen unmögliche Auswirkungen sich dieser Tage wieder mächtig bemerkbar machen, hat niemand ein (Besitz-)Recht auf „seinen“ Arbeitsplatz, so wie wir Langzeitarbeitslosen ganz offensichtlich kein Recht auf „unseren“ Arbeitsplatz geltend machen dürfen.

Die herbeigesehnte Solidarität der Arbeiterklasse sollte vielmehr in dem Moment aufgebracht werden, in dem Grenzen überschritten wurden, etwa wenn Arbeitsplätze aufgrund von kapitalismusinhärenten Prozessen weggefallen sind und wenn sich die Interessen der Arbeitenden jenseits der Grenzen zur Deckung bringen lassen, hier etwa im Sinne regionaler Wertschöpfung mit hohem (nachhaltigem, menschenwürdigen, existenzsichernden) Arbeitseinsatz.

Dasselbe gilt für die MitarbeiterInnen der Job-Center und ARGEN, soweit die zuletzt in ver.di PUBLIK veröffentlichten Leserbriefe repräsentativ sind (und davon gehe ich zwanglos aus, nachdem ich schon so oft mit deren „gesetzestreuen“ Vorgehen konfrontiert wurde). Darin hatte jemand gemeint, dass MitarbeiterInnen der Job-Center „genauso Opfer wie die Arbeitssuchenden“ seien. Sein Kollege meinte offenbar allen Ernstes – und gegen jeden Solidaritätsgedanken: „Ist es gegenüber denen, die mit Jobs im Niedriglohnbereich versuchen ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nicht eine Frage der Gerechtigkeit, dass die sanktioniert werden, welche sich einer Zusammenarbeit verweigern?“

Wer nicht die geringste Anstrengung unternimmt nachzuvollziehen, dass Sanktionen – gerade nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 – menschenunwürdig sind, sollte vielleicht mal den Versuch einer Typisierung Adolf Eichmanns aus der Feder des großen Humanisten Erich Fromm nachlesen und registrieren, dass unsere Gewerkschaften unverändert anti-faschistische Organisationen sind! Wieder der erste Kollege verlangte „von unserer Gewerkschaft, dass sie (…) uns nicht zu Tätern macht wie in dem Artikel des Mitgliedermagazins. So ist das weder unser Magazin noch unsere Gewerkschaft.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, oder?!

Ich habe sicher nichts gegen die KollegInnen in den Job-Centern und ARGEn; ich selbst habe mich hier in Mainz schließlich schon einmal im vollen Bewusstsein dessen, was mich erwarten würde, als Fall-Manager beworben. Mir ist klar, dass sie grundsätzlich getrieben sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und mir ist auch klar, wozu ihr Arbeitgeber sie antreibt bzw. anzutreiben versucht. Solange aber die MitarbeiterInnen der Job-Center diesem Antrieb nachgeben, bei diesem Treiben gar mitmachen, statt sich aus Gewissensgründen zu weigern, menschenunwürdige Sanktionierungen auszusprechen, solange sie nicht selbst aufgrund dessen Disziplinarmaßnahmen oder Kündigungen zu erwarten haben, solange sie also Täter sind und nicht Opfer, so lange werden sie von mir und von uns keine Solidarität erwarten können.

Arbeitszeitverkürzung jetzt, dann ist Vollbeschäftigung möglich!

Wem die programmatische Ausrichtung bei der attac AG Arbeit fair teilen am 2. Mittwoch jedes Monats zu konkret ist, kann sich ja erst einmal beim NachDenkSeiten-Gesprächskreis Mainz am 2. Donnerstag jedes Monats beteiligen und auf Graswurzelebene mitdiskutieren!

Die Jeden-Monat-Demo findet diesen Monat am 19. Mai wie gewohnt um 12 Uhr statt. Sammelpunkt ist der Münsterplatz im Schatten des ver.di-Hauses.

Manfred Bartl
Sprecher der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV
www.hartz4-muss-weg.de

Mainzer Jeden-Monat-Demo zur 1.-Mai-Mobilisierung

Am 21.04.2010 fand die Jeden-Monat-Demo zum zwölften Mal statt, womit das erste Jahr JMD abgeschlossen wurde. Hauptthema war die Verfassungsänderung zum Erhalt der ARGEn und die Mobilisierung zum 1. Mai des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf dem Marktplatz (PDF).

Hier das Skript der Rede zur Abschlusskundgebung von Manfred Bartl:

Liebe Mainzer Arbeiterklasse!

Liebe Mainzer Erwerbspersonenklasse!

Liebe Mainzer Bürgerinnen und Bürger!

Am 20. Dezember 2007 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften mit der Verfassung für nicht vereinbar erklärt, weil die Arbeitsgemeinschaften, die der Bund einerseits (mit der Bundesagentur für Arbeit) und die Länder bzw. in der Auftrag die Kommunen (mit ihren Sozialämtern) nach SGB II einzugehen hätten, eine unzulässige Mischverwaltung darstellten.

Die klagenden Landkreise und Kreise hatten beanstandet, dass mit den Arbeitsgemeinschaften ohne sachlichen Grund eine Mischverwaltung aus Bundes- und Landesbehörden gebildet worden. Dies diene allein als finanzielles Kompensationsmodell für den Bund. Die Experimentierklausel (Paragraph 6a SGB II: Optionskommunen) zeige, dass eine Mischverwaltung nicht zwingend oder sachlich geboten sei. (Randziffer 99) Die mehrfache Aufsicht über die Arbeitsgemeinschaften spiegelt jedoch die problematische Zwischenstellung der Arbeitsgemeinschaften als Mischverwaltung einer Bundesbehörde und einer staatsorganisationsrechtlich den Ländern zuzuordnenden kommunalen Behörde wider. (189) Die geschaffene Form der Mischverwaltung verletze wegen der unzureichenden aufsichtsrechtlichen Durchformung das Demokratieprinzip. Die Arbeitsgemeinschaften seien privatrechtlich organisierte Beliehene, für die eine Fachaufsicht nicht ausreichend sichergestellt sei. (104) Die Kommunen müssten die Wahrnehmung der Aufgaben [in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung] an die Arbeitsgemeinschaften übertragen, obwohl sie Aufgabenträger und damit finanzierungsverantwortlich blieben. Das widerspreche Art. 104a Abs. 1 GG, der die Ausgabenlast an die Wahrnehmung, nicht an die Trägerschaft knüpfe. [Damit] sei eine unzulässige Mischverwaltung entstanden. (81)

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bis Ende des Jahres 2010 Zeit gegeben, einen verfassungsgemäßen Zustand der Grundsicherungsverwaltung herzustellen.

Statt dass der Gesetzgeber nun diese unzulässige Mischverwaltung dauerhaft aufheben würde, will die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin einen Artikel 91 e ins Grundgesetz aufnehmen, um die dem Geist des Grundgesetzes nach unzulässige Mischverwaltung zulässig zu machen, frei nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Nicht das als mit der Verfassung nicht zu vereinbarende Gesetz wird geändert, sondern das Grundgesetz wird an das ARGE-Chaos angepasst!

Der geplante Artikel 91 e im Wortlaut:

(1) Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen.
(2) Der Bund kann zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach Absatz 1 allein wahrnimmt. Die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund, soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen nach Absatz 1 vom Bund wahrzunehmen sind.
(3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Ich war schon drauf und dran, mich wenigstens soweit zu beruhigen, dass die Grundgesetzänderung sich wenigstens auf das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende beschränkt und somit nicht allen möglichen Mischverwaltungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen Tür und Tor öffnet, als ich feststellte, dass der Artikel 91 e nicht alleine steht und einige, ebenfalls neu ins Grundgesetz eingefügte Geschwister hat, die genau das bewirken sollen: Artikel 91 c GG zu verwaltungsinternen Dienstleistungen und Artikel 91 d GG über die informationstechnische Zusammenarbeit, denen Wolfgang Schäuble im Zuge der Föderalismusreform „besondere Bedeutung“ beimisst!

Es ist allerdings fraglich, wie ein zusätzlicher Artikel im Grundgesetz die vom Gericht angemahnte Verfassungskonformität der SGB-II-ARGEn überhaupt herstellen soll, wenn das Urteil bei höheren Prinzipien ansetzt und sie nicht nur deswegen für verfassungswidrig hält, weil gerade mal kein explizit diese Mischverwaltung legalisierender Artikel vorhanden ist. Da heiß es im Urteil nämlich: Eine hinreichend klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten ist vor allem im Hinblick auf das Demokratieprinzip erforderlich, das eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern fordert und auf diese Weise demokratische Verantwortlichkeit ermöglicht. (…) Der Bürger muss wissen können, wen er wofür – auch durch Vergabe oder Entzug seiner Wählerstimme – verantwortlich machen kann. (Randziffer 159)

Wir fordern:

Stoppt den Grundgesetz-Murks, mit dem Ihr den ARGE-Murks legalisieren wollt!

Keine Grundgesetzänderung wegen schlechten Gesetzen, die ohnehin abgeschafft gehören!

Keine weiteren Diskussionen um periphere Aspekte von Hartz IV!
Hartz IV ist Armut per Gesetz und muss weg!

Unsere Dauerbrenner sind zwei grundsätzlich verfehlte SGB-II-Konzepte, die obendrein viel zu oft missbraucht werden bzw. schlicht verfassungswidrig sind: Ein-Euro-Jobs und Sanktionen!

Ein-Euro-Jobs sind eigentlich Integrationsmaßnahmen für Menschen, die aufgrund von extrem langer Arbeitslosigkeit oder anderen widrigen Umständen ohne weiteren Motivations- und Selbstdisziplinierungsschub keinen Arbeitgeber auf dem ersten Arbeitsmarkt finden werden, denen sie ihre (geschwächte) Arbeitskraft verkaufen könnten. Auf diese Weise können sie sich an Arbeits- und Betriebsstrukturen gewöhnen, lernen die sozialen Kontakte im Arbeitsumfeld (wieder) zu schätzen und haben nebenbei noch genügend Zeit (und Unterstützung) für Bewerbungen. Abgesehen davon, dass viele der angebotenen Ein-Euro-Jobs gegen die Kriterien der Zusätzlichkeit, der Ausrichtung am öffentlichen Interesse, der Qualifizierung der Betroffenen und der Vermeidung von Druck auf reguläre Beschäftigung verstoßen und selbst ein Ausbeutungsmittel darstellen, heißt das an all diejenigen gerichtet, für die ein Ein-Euro-Job keine geeignete Maßnahme ist, weil sie ohne jedes Vermittlungshemmnis einfach auf die nächste offene Stelle warten, dass wir von Euch fordern:

Kündigt sofort Euren Ein-Euro-Job!

Nehmt keinen Ein-Euro-Job mehr an!

Wehrt Euch gegen Sanktionsandrohungen, weil…

Sanktionen nach dem SGB II sind vom Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 für verfassungswidrig erklärt worden, und zwar sowohl formaljuristisch als auch per se unter direktem Bezug auf die Menschenwürde. Durch die Schaffung eines Grundrechts auf absolute Sicherung der soziokulturellen Teilhabe nach Maßgaben der Menschenwürde aus Artikel 1 GG wurde die Bedingung geschaffen, dass das SGB II den Grundrechtsparagraphen zitieren muss, in den es ggf. eingreift. Da das nicht der Fall ist, dürfen Sanktionen derzeit nicht ausgesprochen werden. Aber auch aus Gründen der Menschenwürde selbst wurden Sanktionen abgeschafft: Kein noch so absurd konstruierter Tatbestand dieses Rechtskreises (SGB II: Grundsicherung für Erwerbslose) kann ernsthaft einen Eingriff in Grundrechte nach sich ziehen! Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Artikel 1, Absatz 1: Da heißt es nicht nur: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, sondern verstärkend noch: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wenn das nicht mehr garantiert werden kann, wäre endgültig der faschistische Ausnahmezustand festzustellen und jede/r Deutsche wäre zum Widerstand nach Artikel 20 Abs. 4 GG aufgerufen!

Wir wehren uns weiterhin gegen die dürftig als „bevorzugte Vermittlung von Alleinerziehenden“ getarnte Verschärfung der Verfolgungsbetreuung von alleinerziehenden Erwerbslosen und ihren Kindern durch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen! Man sollte hellhörig werden, wenn ausgerechnet ein Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im SPIEGEL Online sagt: „Die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind das Kernproblem von alleinerziehenden Langzeitarbeitslosen“! Von der Leyen war zuvor Bundesfamilienministerin und sollte auch als Mutter von sieben Kindern wissen, dass Eltern wertvolle gesellschaftliche Tätigkeiten ausüben und ihre primären Verpflichtungen in der Kindeserziehung liegen und nicht in der eigenverantwortlichen Erwirtschaftung des Lebensunterhalts bei einem kapitalistischen Arbeitgeber. Sie müsste wissen, dass es keine Pflicht zur Erwerbsarbeit, sondern ein Recht auf – u. a. auch gestaltende, d. h. arbeitende – Teilhabe an der Gesellschaft und mithin ein Recht auf Arbeit, ein Recht auf Anwendung aller erworbenen Qualifikationen und ein Recht auf angemessenen, fairen Lohn gibt, der bei der im Raum stehenden ad hoc-Verfolgungsbetreuung ganz zuletzt auf dem Plan steht, solange die Zumutbarkeitsregelungen des SGB II explizit die volkswirtschaftliche Vernunft aushöhlen!

Weiterhin wehren wir uns gegen die neue Hetzkampagne von Guido Westerwelle gegen junge Hartz-IV-Leistungsberechtigte und Langzeitarbeitslose! Alles, was er über das „endlich Ernst machen mit dem Prinzip von Fördern und Fordern“ gesagt hat, ist Schnee von gestern: Schon heute müssen Betroffene unter 25 Jahren mit irgendeinem Sofortangebot betraut werden – und zwar tatsächlich sofort und nicht erst innerhalb von 6 Wochen! Schon heute kostet eine Verweigerung dessen unter Umständen das gesamte ALG II. Aber all das ist schon heute falsch! Jugendliche müssen aus der gesellschaftlich verschuldeten Perspektivlosigkeit mit konkreten Perspektiven herausgeholt werden, nicht mit Larifari-Maßnahmen und menschenunwürdigen Sanktionen (die ohnehin abgeschafft wurden)!

Zugleich wollen wir für den 1. Mai mobilisieren; der Tag der Arbeit findet nach zwei Jahren Abstinenz von der Öffentlichkeit wieder mitten in Mainz auf dem Marktplatz statt! Gibt es eine bessere Möglichkeit, um über Arbeit, gute Arbeit, Arbeitszeitverkürzung sowie Arbeiterklasse und Gewerkschaft zu diskutieren?! Heraus zum 1. Mai!

Mainzer Jeden-Monat-Demo im März zum Bundesverfassungsgerichtsurteil

Liebe Mainzerinnen und Mainzer,

herzlich Willkommen zur 11. Jeden-Monat-Demo!

Am 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht das ALG II zwar für verfassungswidrig erklärt, es aber mit der Menschenwürde nach Artikel 1 Grundgesetz verknüpft und dem Gesetzgeber bis zum Ende dieses Jahres die Hausaufgaben übertragen, das ALG II menschenwürdig neu auszugestalten. Politisch – noch nicht juristisch – sind Sanktionen damit abgeschafft worden! Sie werden also vermutlich weiterhin verhängt, man kann sich aber mit guten Aussichten auf Erfolg im Rechtsbehelfverfahren auf das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht berufen.

Schützenhilfe haben wir erhalten vom Bundessozialgericht, das eine Woche später geurteilt hat, dass über die Folgen von Pflichtverletzungen “konkret, verständlich, richtig und vollständig” zu belehren ist. Doch wie könnte die ARGE vollständig belehren, wenn der Paragraph 31 im Sozialgesetzbuch 2 nicht im Ansatz einen Hinweis auf den Zweck von Sanktionen enthält, geschweige denn dass der Artikel des Grundgesetzes zitiert würde, was zur Einschränkung von Grundrechten zwingend vorgeschrieben ist!

Während die Bundesregierung Hunderte von Milliarden in die “Rettung” von maroden, aber angeblich “systemrelevanten” Banken steckt, hat der Haushaltsausschuss des Bundestages 900 Millionen (also nicht einmal eine Milliarde) Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik für das zweite Halbjahr 2010 gesperrt, sodass viele – teilweise schon bezahlte – Maßnahmen austrocknen werden (auch Ein-Euro-Jobs, was hinnehmbar ist). Zugleich wurde bekannt, dass die ARGEn in der Fläche solche Mittel für Personalzwecke angeblich legal umwidmen und von dieser sie nominell gar nicht berührenden Haushaltssperre sehr wohl mitbetroffen sind!

Ein Bremer Professor, Gunnar Heinsohn, hat via FAZ und  BILD eine “Debatte” angestoßen, dass Sozialhilfe (wie in den USA) nur für fünf Jahre gezahlt werden sollte, um den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, jede Stelle anzunehmen. Obwohl dieser Herr in den Bereichen Soziales und Wirtschaft doziert, äußert er sich nicht darüber, was nach den fünf Jahren geschehen wird, wenn der Betroffene in keinster Weise mehr Wirtschaftssubjekt ist und bis dahin Druck gar nicht hilft, weil es nicht an den Arbeitslosen liegt, sondern am Mangel an existenzsichernden Arbeitsplätzen. Ein Online-Kommentator hat vermutet, dass der Professor wohl wünschte, dass nach fünf Jahren alle anfangen sollten zu klauen. Daran wollen wir uns gerne halten!

Die aufgenötigte Selbstbedienung ist heute schon realisiert bei ÖPNV-Dienstleistungen, da man nach derzeitigem Stand gerade mal 15 Euro für die ÖPNV-Mobiltät zur Verfügung hat, um damit ein absurd teures Mainzer Sozialticket für 50,40 Euro zu kaufen, was natürlich illusorisch ist. Ein Mainzer Hartz-IV-Empfänger wurde dieser Tage wegen Schwarzfahrens zu drei Monaten auf Bewährung und 300 Euro Bußgeld verurteilt. Das Urteil des Amtsgerichts verstößt eindeutig gegen die Menschenwürde! Für die nähere Zukunft ist zu überlegen, ob die MVG oder die Stadt Mainz wegen Nötigung zu Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verklagt werden sollten.

Haben Sie schon von ELENA gehört? ELENA ist ein gigantisches Datensammelprojekt von Arbeitnehmerdaten, die zentral gespeichert werden und in den Augen von FoeBuD und ver.di unter Missbrauchsverdacht stehen. Dagegen planen diese Organisationen jetzt eine Sammelbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, deren Ausfertigung derselbe Jurist übernommen hat, der schon die Vorratsdatenspeicherung (mit über 35.000 Beschwerdeführern) zu Fall gebracht hat. Wir fordern zur Teilnahme an der Sammelbeschwerde gegen ELENA auf!

Ein letztes Wort zur SPD, die derzeit einen Schwenk in Sachen Hartz IV vorzunehmen scheint. Obwohl SPD-Politiker durchaus einen gewissen Einblick in die politischen Verhältnisse haben, wenn etwa, wie gestern bei “Menschen bei Maischberger”, Hubertus Heil die Notwendigkeit des gesetzlichen Mindestlohns wirklich wunderbar begründete. Da fragte man sich dann aber doch, warum die SPD am 14. Juni 2007 mit 193 von 198 anwesenden SPD-Bundestagsabgeordneten den eigene Mindestlohntext (im Antrag der Linksfraktion) abgelehnt hat. Auch die Vorschläge von Hannelore Kraft (NRW) weisen darauf hin, dass die SPD ihre Haltung zu Hartz IV so bald nicht ändern wird. – Schade!

Papierner Standpunkt

In der aktuellen Hartz-IV-Debatte hat sich Hans-Jürgen Papier, Vorsitzender des Senats am Bundesverfassungsgericht, der auch das Urteil vom 9. Februar 2010 verkündet hatte, in einem Interview mit der WELT am Sonntag (aus Anlass seines formal letzten Arbeitstages) zu Wort gemeldet. Auch die Mainzer “Allgemeine Zeitung” berichtet darüber. Seine Äußerungen sind jedoch von seinem eigenen Urteil nicht gedeckt!

Im Interview antwortet Papier auf die Frage, ob “eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger verfassungsgemäß wäre”:

“Juristisch handelt es sich genau genommen nicht um ‘Pflichten’, sondern um ‘Obliegenheiten’ zur Erlangung einer Leistung. Und die sind im geltenden Recht durchaus schon vorgesehen. Wer eine zumutbare Arbeit ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung rechnen. Sozialleistungen des Staates sind prinzipiell subsidiärer Natur, sie sollen nur dann gezahlt werden, wenn jemand in einer Notlage ist, aus der er mit eigener Kraft nicht herauskommt.”

Möglicherweise im Versuch, der Frage geschickt auszuweichen (wie er vielen Fragen ausweichend begegnet), verhaspelt sich Papier, vermengt den über das SGB II hinausgehenden “Vorschlag” von  Roland Koch und Guido Westerwelle (Letzterer explizit mit seinem “Schneeschippen”) mit Ansichten über das SGB II selbst und heraus kommt eine Lüge. Zunächst muss ich eines ganz klar festhalten: Eine Arbeitspflicht speziell für Leistungsberechtigte nach Hartz IV ist nach Artikel 12 Grundgesetz klipp und klar verfassungswidrig! Eine solche Arbeitspflicht vorzuschlagen, stellt die Vorschlagenden ins gesellschaftliche Abseits der Verfassungswidrigkeit. Die genannte “Obliegenheit zur Erlangung einer Leistung” ergibt sich weder aus dem SGB II noch aus dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Gemeint ist hiermit vielmehr die “Annahme jeder zumutbaren Arbeit” gemäß dem “Fordern”-Prinzip des SGB II zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit (das natürlich ebenfalls eine nach Artikel 12 Grundgesetz festzustellende Verfassungswidrigkeit darstellt, deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht allerdings noch aussteht). Diese Forderung steht jedoch mit der Gewährleistung der Sicherung des Lebensunterhalts durch das ALG II in keinerlei Zusammenhang, wie das Bundesverfassungsgericht jüngst klarmachte, als es die Auszahlung des ALG II direkt (und allein) mit der Wahrung der Menschenwürde verknüpfte. Dem Usus, dass beide Bestandteile des SGB II etwa bei der Verhängung von Sanktionen wegen der Verweigerung einer “zumutbaren” Arbeit vermengt wurden, hat das Bundesverfassungsgericht durch sein Urteil endgültig einen Riegel vorgeschoben: Das Bundesverfassungsgericht hat Sanktionen abgeschafft!

Weiterhin behauptete Papier im WELT-Interview folgendes:

“Der Gesetzgeber hat nicht nur bezüglich der Höhe der Leistung einen Spielraum, sondern auch bezüglich der Art. Es ist ihm überlassen, seiner Verpflichtung zur Gewährleistung des existenzsichernden Minimums durch Geld, Sachleistungen oder einer Kombination nachzukommen. Was da zweckmäßig ist, muss die Politik entscheiden.”

Wenngleich diese Äußerungen weitgehend korrekt sind, ist doch der Maßstab falsch benannt: Nicht die Zweckmäßigkeit entscheidet, sondern die Menschenwürde! So sind Sachleistungen wie die erwähnten Schulbücher oder Taschenrechner allenfalls so zu gewähren, dass die Menschenwürde davon unbeeinträchtigt bleibt, also vor allem nicht vor aller Augen in der Schulklasse! Die Aussage hingegen, dass die kaputte Waschmaschine ein “einmaliger Sonderbedarf” sei, der “von der Regelleistung abgedeckt” werde und “kein Härtefall” sei, ist zynisch und wird von seinem eigenen Urteil nicht gedeckt. Die Regelleistung deckt definitionsgemäß das alltägliche Existenzminimum ab und niemand wird behaupten wollen, dass Waschmaschinen jeden Monat kaputtgehen! Umgekehrt ist ein “Ansparen” für den Ersatz einer kaputten Waschmaschine menschenwürdigerweise unmöglich, da der Gesetzgeber – wie schon im Gesetzgebungsprozess des gültigen Sozialgesetzbuches II – allzu leicht in die Versuchung geraten wird, das Ansparen zwar für viele diverse “Sonderbedarfe” vorzusehen, aber keine Lösung für den Fall vorzugeben, dass mehrere der “Sonderbedarfe” zur gleichen Zeit oder überhaupt zur Unzeit anfallen.

Wolfgang Lieb bemerkte in den NachDenkSeiten: “Es ist unglaublich, dass ein scheidender Präsident des Gerichts nachträglich Interpretationen des Urteils liefert, die sich so aus dem Urteil selbst gewiss nicht ableiten lassen.

Die hier wiedergegebenen Aussagen lassen mich an der aktuellen Geistesverfassung von Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier zweifeln: Er versteht sein eigenes Urteil nicht! Die Regelleistung nach Hartz IV etwa hat er doch expressis verbis an die Menschenwürde (Artikel 1 Grundgesetz) angeknüpft. Damit erledigt sich jeder Gedanke an eine Obliegenheit ganz zwanglos. Das ALG II ist die Leistung der Gesellschaft an Menschen, die von der Gesellschaft aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen werden. Es sind nicht die Leistungsberchtigten, die eine Obliegenheit gegenüber der Gesellschaft haben – die Gesellschaft hat vielmehr den Langzeitarbeitslosen gegenüber die verdammte Pflicht, für Vollbeschäftigung zu sorgen. Es handelt sich dabei keineswegs nur um eine Obliegenheit, da sich Erwerbspersonen – zumindest in diesem hofentlich bald überwundenen Kapitalismus – noch immer über ihre Erwerbsarbeit als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft definieren!

Auch hat sein eigenes “Hartz-IV-Urteil” vom 9. Februar dafür gesorgt, dass Leistungskürzungen als verfassungswidrig eingestuft wurden. Das steht zwar nicht explizit im Urteil. Da aber der Regelsatz als allerunterste, von der Menschenwürde abhängige Grenze eingezogen wurde, wörtlich: “Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Dies verlangt bereits unmittelbar der Schutzgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG.” (Randziffer 136) und: “Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt.” (Randziffer 137), sind Leistungskürzungen ausgeschlossen, da die Leistung dann hinter das Existenzminimum zurückfallen und automatisch gegen die Menschenwürde verstoßen würde.

Das Bundessozialgericht hat am 18. Februar darüber hinaus geurteilt, dass über Sanktionen “konkret, verständlich, richtig und vollständig” belehrt werden müsse – was die ARGE vor unüberwindliche Probleme stellt, da das Sozialgesetzbuch II für Sanktionen KEINERLEI Zweck vorsieht, man darüber also auch niemals vollständig belehren kann.

Sanktionen sind daher verfassungswidrig und gesetzwidrig und sollten nach Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz behandelt werden; andere Abhilfe hat das Bundesverfassungsgerichtsurteil wiederum wörtlich ausgeschlossen.

(Die vier letzten Absätze stellen die Leserkommentare dar, die ich versuchte, bei den beiden AZ-Artikeln unterzubringen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sie noch veröffentlicht werden; die Wahrscheinlichkeit ist jedoch eher gering…)

San Hartzvier

1. Ich fordere das Ende von Hartz IV,
Es schickt die Menschen draußen vor die Tür.
Weil es nur Unrecht und nur Armut bringt,
Und weil es jedermann zur Arbeit zwingt.

2. Was nach dem Grundgesetz verboten ist,
Es sei denn, dass du eingekerkert bist.
Man fragt nicht mehr danach, das sagt genug.
Hartz IV gleicht einem offenen Vollzug.

3. Die Strafen dienen nur der Disziplin,
Der Staat will dich zur Fügsamkeit erziehn.
Er treibt sein Spiel, solang bis nichts mehr geht,
Und setzt am Ende dich auf Nulldiät.

4. Die Pisa-Studie bringt es an den Tag
Wieviel man an Talent verschleudern mag.
Gewinne steigen, Löhne bleiben tief,
Ein-Euro-Jobber gibts zum Nulltarif.

5. Bedenkt doch das Schmarotzer-Argument,
Wer nichts schafft, bekommt auch keinen Cent.
Im Altersheim seid ihr dann selbst bedroht,
Ihr könnt nicht mehr, drum gibts den Gandentod.

6. Hinweg mit der Agenda Zwanzigzehn!
Am besten wärs, man würd’ sie nicht mehr sehn.
Die Hartz-Gesetze sind der letzte Stuss,
Beseitigt sie und macht mit ihnen Schluss!

Melodie: “San Quentin” von Johnny Cash
Die Akkord-Begleitung besteht aus den üblichen dreien mit zwei Subdominanten in der zweiten und dritten Zeile.

Der Verfasser ist der Redaktion bekannt.

Auch Hartz4-Plattform sieht Sanktionsparagraphen gekippt

Wie wir meint auch die Wiesbadener Hartz4-Plattform, dass schon mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Sanktionsparagraph des SGB II gekippt wurde (PDF). Als “Lackmus-Test” sah man in Wiesbaden das sich auf dieses Urteil beziehende Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.02.2010, von dem man sich denn auch bestätigt sah (PDF): “Ab sofort muss niemand mehr Leistungskürzungen im Rahmen des Paragraph 31 SGB II hinnehmen.” Die strengen Anforderungen an den Inhalt der Rechtsfolgenbelehrung, die dem individuellen Einzelfall angepasst und “konkret, verständlich, richtig und vollständig” sein müssten, seien nach dem Urteil der Bundessozialrichter vor allem deshalb geboten, weil es sich bei der Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen, wie aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 hervorgehe, um einen schwerwiegenden Eingriff handele.

Ein Satz aus der Presseerklärung des Bundessozialgerichts hat für die Wiesbadender Hartz4-Plattform herausragende Bedeutung: “Da der Absenkungsbescheid schon wegen der unzulänglichen Rechtsfolgenbelehrung aufzuheben war, war nicht darüber zu entscheiden, ob die im Bescheid angeordnete völlige Streichung der Regelleistung für einen Zeitraum von drei Monaten zulässig war.” Dass sie nicht zu prüfen gehabt hätten, ob die Sanktion verfassungswidrig sei, wäre “ein an Deutlichkeit nicht zu überbietender Wink mit dem Zaunpfahl an alle Verwaltungen und Sozialgerichte”. Mir erscheint das eher wie der feige Rückzieher, eine Frage des allgemeinen Interesses endgültig zu klären, bevor auch diese wieder am Bundesverfassungsgericht hängenbleibt. Warum traut man sich nur nicht, etwas so Offenkundiges auszusprechen? Zumal man damit zum Helden der breiten Massen werden würde?!

Bundessozialgericht entscheidet gegen Sanktionierung

In seiner Entscheidung vom 18.02.2010 hat das Bundessozialgericht an der Oberfläche zwar nur eine Sanktion für hinfällig erklärt, in der Tiefe des Urteils steckt aber wesentlich mehr: Indem das BSG sich explizit auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil bezieht, demzufolge eine Sanktion einen “schwerwiegenden Eingriffin ein Grundrecht wie eben das soziokulturelle Teilhabeminimum darstellt, müsse jede/r Hilfebedürftige über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung “konkret, verständlich, richtig und vollständig” belehrt werden, damit die Umsetzung der in Betracht kommenden Verhaltensanweisungen und möglicher Maßnahmen auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls überhaupt gelingen kann.

Aber wie soll das gehen, wenn das SGB II für Sanktionen weder Zweck noch Begründung vorsieht? Der Paragraph 31 SGB II sagt lediglich aus, dass und aus welchem Anlass eine Sanktion eintritt. Aber auch bei einer Revision des SGB II zum Jahresende sehe ich kaum einen Spielraum für den asozialen Gesetzgeber: Die Grundrechte einzuschränken, da braucht es schon etwas mehr als eine “Meldepflichtverletzung” oder eine – nach Artikel 12 GG unbenommen bleibende – Ablehnung eines Stellenangebots!

Tacheles: Überprüfungsanträge NICHT zurückziehen!

Inzwischen ruft auch die Sozialhilfeinitiative Tacheles dazu auf, die von ihr selbst angestoßenen Überprüfungsanträge (und alle etwaige in Anspruch genommenen Rechtsbehelfe) nicht zurückzuziehen! Während auch unser Argument unverändert gilt (eine neue – und dann letzte – Chance für das Bundesverfassungsgericht durch die Instanzen zu initiieren, das Sozialstaatsgebot auch rückwirkend zu sichern), hat Tacheles seine Meinung geändert, weil am 18.02.2010 (also nur 9 Tage nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil) das Bundessozialgericht entschieden hat (BSG v. 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R), dass sowohl die Ansprüche des aktuellen BMAS- bzw. BA-Katalogs zur Härtefallregelung des BVerfG als auch “durchaus weitere Ansprüche” (wie der Vorsitzende des 4. Senats, Thomas Voelzke, bei der Urteilsverkündung zudem klargestellt hatte, weil die Härtefallliste der BA/des BMAS keinesfalls eine abschließende Liste sei) auch rückwirkend bestünden, falls die jeweiligen Bescheide noch nicht rechtskräftig sind und nach der individuellen Prüfung des Einzelfalls ein derartiger Anspruch zu bejahen ist. Und welcher Bewilligungsbescheid ist denn schon rechtskräftig?

Entsprechend dieser Bedarfslagen wird Tacheles in der nächsten Zeit eine fundierte Liste erarbeiten und sie der Härtefallliste von BA/BMAS entgegenhalten, in der die jeweiligen möglichen Bedarfe konkretisiert werden. Wenn solche Bedarfe bestanden haben, müsste der Überprüfungsantrag dahingehend konkretisiert werden und dann das Rechtsmittelverfahren weiter betrieben werden. Tacheles wird dazu entsprechende Musterschriftsätze fertigstellen, worin zumindest die Richtung der Konkretisierung aufgezeigt wird.

Sollten dahingehende Bedarfe derzeit und aktuell vorliegen, empfiehlt es sich, diese unverzüglich beim SGB-II-Leistungsträger zu beantragen. Werden diese abgelehnt oder reagiert die Behörde nicht zeitnah, sollte unverzüglich der Anspruch auf dem Wege einer Eilklage über das Sozialgericht durchgesetzt werden.

Erwerbslosenfrühstück in Mainz

Seit Januar 2010 bietet auch die Arbeitsloseninitiative “KAKTUS” am 1. Mittwoch jedes Monats zwischen 9 Uhr und 11 Uhr zum Erwerbslosenfrühstück an, das im Matthäussaal (hinter der Christuskirche) stattfindet.

Nächster Termin (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blog-Beitrags): Mittwoch, den 3. März 2010

Schon länger hat sich die Tradition des Erwerbslosenfrühstücks bei der Partei DIE LINKE. Mainz-Stadt etabliert, das am 3. Sonntag jedes Monats in der Landesgeschäftsstelle, Rochusstraße 10-12, ab 10:30 bis 13:30 Uhr stattfindet. Neben dem Frühstück “zum Austauschen von Problemen und Tipps” steht außerdem “unser Anwalt mit juristischer Fachkenntnis zur Seite”.

Nächster Termin (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Blog-Beitrags): Sonntag, den 21. Februar 2010