Mainzer Jeden-Monat-Demo zur 1.-Mai-Mobilisierung

Am 21.04.2010 fand die Jeden-Monat-Demo zum zwölften Mal statt, womit das erste Jahr JMD abgeschlossen wurde. Hauptthema war die Verfassungsänderung zum Erhalt der ARGEn und die Mobilisierung zum 1. Mai des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) auf dem Marktplatz (PDF).

Hier das Skript der Rede zur Abschlusskundgebung von Manfred Bartl:

Liebe Mainzer Arbeiterklasse!

Liebe Mainzer Erwerbspersonenklasse!

Liebe Mainzer Bürgerinnen und Bürger!

Am 20. Dezember 2007 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften mit der Verfassung für nicht vereinbar erklärt, weil die Arbeitsgemeinschaften, die der Bund einerseits (mit der Bundesagentur für Arbeit) und die Länder bzw. in der Auftrag die Kommunen (mit ihren Sozialämtern) nach SGB II einzugehen hätten, eine unzulässige Mischverwaltung darstellten.

Die klagenden Landkreise und Kreise hatten beanstandet, dass mit den Arbeitsgemeinschaften ohne sachlichen Grund eine Mischverwaltung aus Bundes- und Landesbehörden gebildet worden. Dies diene allein als finanzielles Kompensationsmodell für den Bund. Die Experimentierklausel (Paragraph 6a SGB II: Optionskommunen) zeige, dass eine Mischverwaltung nicht zwingend oder sachlich geboten sei. (Randziffer 99) Die mehrfache Aufsicht über die Arbeitsgemeinschaften spiegelt jedoch die problematische Zwischenstellung der Arbeitsgemeinschaften als Mischverwaltung einer Bundesbehörde und einer staatsorganisationsrechtlich den Ländern zuzuordnenden kommunalen Behörde wider. (189) Die geschaffene Form der Mischverwaltung verletze wegen der unzureichenden aufsichtsrechtlichen Durchformung das Demokratieprinzip. Die Arbeitsgemeinschaften seien privatrechtlich organisierte Beliehene, für die eine Fachaufsicht nicht ausreichend sichergestellt sei. (104) Die Kommunen müssten die Wahrnehmung der Aufgaben [in Bezug auf die Kosten der Unterkunft und Heizung] an die Arbeitsgemeinschaften übertragen, obwohl sie Aufgabenträger und damit finanzierungsverantwortlich blieben. Das widerspreche Art. 104a Abs. 1 GG, der die Ausgabenlast an die Wahrnehmung, nicht an die Trägerschaft knüpfe. [Damit] sei eine unzulässige Mischverwaltung entstanden. (81)

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bis Ende des Jahres 2010 Zeit gegeben, einen verfassungsgemäßen Zustand der Grundsicherungsverwaltung herzustellen.

Statt dass der Gesetzgeber nun diese unzulässige Mischverwaltung dauerhaft aufheben würde, will die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin einen Artikel 91 e ins Grundgesetz aufnehmen, um die dem Geist des Grundgesetzes nach unzulässige Mischverwaltung zulässig zu machen, frei nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Nicht das als mit der Verfassung nicht zu vereinbarende Gesetz wird geändert, sondern das Grundgesetz wird an das ARGE-Chaos angepasst!

Der geplante Artikel 91 e im Wortlaut:

(1) Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen.
(2) Der Bund kann zulassen, dass eine begrenzte Anzahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde die Aufgaben nach Absatz 1 allein wahrnimmt. Die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund, soweit die Aufgaben bei einer Ausführung von Gesetzen nach Absatz 1 vom Bund wahrzunehmen sind.
(3) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.

Ich war schon drauf und dran, mich wenigstens soweit zu beruhigen, dass die Grundgesetzänderung sich wenigstens auf das Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende beschränkt und somit nicht allen möglichen Mischverwaltungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen Tür und Tor öffnet, als ich feststellte, dass der Artikel 91 e nicht alleine steht und einige, ebenfalls neu ins Grundgesetz eingefügte Geschwister hat, die genau das bewirken sollen: Artikel 91 c GG zu verwaltungsinternen Dienstleistungen und Artikel 91 d GG über die informationstechnische Zusammenarbeit, denen Wolfgang Schäuble im Zuge der Föderalismusreform „besondere Bedeutung“ beimisst!

Es ist allerdings fraglich, wie ein zusätzlicher Artikel im Grundgesetz die vom Gericht angemahnte Verfassungskonformität der SGB-II-ARGEn überhaupt herstellen soll, wenn das Urteil bei höheren Prinzipien ansetzt und sie nicht nur deswegen für verfassungswidrig hält, weil gerade mal kein explizit diese Mischverwaltung legalisierender Artikel vorhanden ist. Da heiß es im Urteil nämlich: Eine hinreichend klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten ist vor allem im Hinblick auf das Demokratieprinzip erforderlich, das eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern fordert und auf diese Weise demokratische Verantwortlichkeit ermöglicht. (…) Der Bürger muss wissen können, wen er wofür – auch durch Vergabe oder Entzug seiner Wählerstimme – verantwortlich machen kann. (Randziffer 159)

Wir fordern:

Stoppt den Grundgesetz-Murks, mit dem Ihr den ARGE-Murks legalisieren wollt!

Keine Grundgesetzänderung wegen schlechten Gesetzen, die ohnehin abgeschafft gehören!

Keine weiteren Diskussionen um periphere Aspekte von Hartz IV!
Hartz IV ist Armut per Gesetz und muss weg!

Unsere Dauerbrenner sind zwei grundsätzlich verfehlte SGB-II-Konzepte, die obendrein viel zu oft missbraucht werden bzw. schlicht verfassungswidrig sind: Ein-Euro-Jobs und Sanktionen!

Ein-Euro-Jobs sind eigentlich Integrationsmaßnahmen für Menschen, die aufgrund von extrem langer Arbeitslosigkeit oder anderen widrigen Umständen ohne weiteren Motivations- und Selbstdisziplinierungsschub keinen Arbeitgeber auf dem ersten Arbeitsmarkt finden werden, denen sie ihre (geschwächte) Arbeitskraft verkaufen könnten. Auf diese Weise können sie sich an Arbeits- und Betriebsstrukturen gewöhnen, lernen die sozialen Kontakte im Arbeitsumfeld (wieder) zu schätzen und haben nebenbei noch genügend Zeit (und Unterstützung) für Bewerbungen. Abgesehen davon, dass viele der angebotenen Ein-Euro-Jobs gegen die Kriterien der Zusätzlichkeit, der Ausrichtung am öffentlichen Interesse, der Qualifizierung der Betroffenen und der Vermeidung von Druck auf reguläre Beschäftigung verstoßen und selbst ein Ausbeutungsmittel darstellen, heißt das an all diejenigen gerichtet, für die ein Ein-Euro-Job keine geeignete Maßnahme ist, weil sie ohne jedes Vermittlungshemmnis einfach auf die nächste offene Stelle warten, dass wir von Euch fordern:

Kündigt sofort Euren Ein-Euro-Job!

Nehmt keinen Ein-Euro-Job mehr an!

Wehrt Euch gegen Sanktionsandrohungen, weil…

Sanktionen nach dem SGB II sind vom Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 für verfassungswidrig erklärt worden, und zwar sowohl formaljuristisch als auch per se unter direktem Bezug auf die Menschenwürde. Durch die Schaffung eines Grundrechts auf absolute Sicherung der soziokulturellen Teilhabe nach Maßgaben der Menschenwürde aus Artikel 1 GG wurde die Bedingung geschaffen, dass das SGB II den Grundrechtsparagraphen zitieren muss, in den es ggf. eingreift. Da das nicht der Fall ist, dürfen Sanktionen derzeit nicht ausgesprochen werden. Aber auch aus Gründen der Menschenwürde selbst wurden Sanktionen abgeschafft: Kein noch so absurd konstruierter Tatbestand dieses Rechtskreises (SGB II: Grundsicherung für Erwerbslose) kann ernsthaft einen Eingriff in Grundrechte nach sich ziehen! Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Artikel 1, Absatz 1: Da heißt es nicht nur: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“, sondern verstärkend noch: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Wenn das nicht mehr garantiert werden kann, wäre endgültig der faschistische Ausnahmezustand festzustellen und jede/r Deutsche wäre zum Widerstand nach Artikel 20 Abs. 4 GG aufgerufen!

Wir wehren uns weiterhin gegen die dürftig als „bevorzugte Vermittlung von Alleinerziehenden“ getarnte Verschärfung der Verfolgungsbetreuung von alleinerziehenden Erwerbslosen und ihren Kindern durch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen! Man sollte hellhörig werden, wenn ausgerechnet ein Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im SPIEGEL Online sagt: „Die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind das Kernproblem von alleinerziehenden Langzeitarbeitslosen“! Von der Leyen war zuvor Bundesfamilienministerin und sollte auch als Mutter von sieben Kindern wissen, dass Eltern wertvolle gesellschaftliche Tätigkeiten ausüben und ihre primären Verpflichtungen in der Kindeserziehung liegen und nicht in der eigenverantwortlichen Erwirtschaftung des Lebensunterhalts bei einem kapitalistischen Arbeitgeber. Sie müsste wissen, dass es keine Pflicht zur Erwerbsarbeit, sondern ein Recht auf – u. a. auch gestaltende, d. h. arbeitende – Teilhabe an der Gesellschaft und mithin ein Recht auf Arbeit, ein Recht auf Anwendung aller erworbenen Qualifikationen und ein Recht auf angemessenen, fairen Lohn gibt, der bei der im Raum stehenden ad hoc-Verfolgungsbetreuung ganz zuletzt auf dem Plan steht, solange die Zumutbarkeitsregelungen des SGB II explizit die volkswirtschaftliche Vernunft aushöhlen!

Weiterhin wehren wir uns gegen die neue Hetzkampagne von Guido Westerwelle gegen junge Hartz-IV-Leistungsberechtigte und Langzeitarbeitslose! Alles, was er über das „endlich Ernst machen mit dem Prinzip von Fördern und Fordern“ gesagt hat, ist Schnee von gestern: Schon heute müssen Betroffene unter 25 Jahren mit irgendeinem Sofortangebot betraut werden – und zwar tatsächlich sofort und nicht erst innerhalb von 6 Wochen! Schon heute kostet eine Verweigerung dessen unter Umständen das gesamte ALG II. Aber all das ist schon heute falsch! Jugendliche müssen aus der gesellschaftlich verschuldeten Perspektivlosigkeit mit konkreten Perspektiven herausgeholt werden, nicht mit Larifari-Maßnahmen und menschenunwürdigen Sanktionen (die ohnehin abgeschafft wurden)!

Zugleich wollen wir für den 1. Mai mobilisieren; der Tag der Arbeit findet nach zwei Jahren Abstinenz von der Öffentlichkeit wieder mitten in Mainz auf dem Marktplatz statt! Gibt es eine bessere Möglichkeit, um über Arbeit, gute Arbeit, Arbeitszeitverkürzung sowie Arbeiterklasse und Gewerkschaft zu diskutieren?! Heraus zum 1. Mai!

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