“…um das Schlimmste zu verhindern.”

Bericht zur Kundgebung gegen Rechtsvereinfachungen im SGB II am Standort der ASMK in Mainz, 26.11.2014

Dem nasskalten Novemberwetter zu trotzen, ist für die 50 Aktivist_innen aus dem und um das Hartz IV-Netzwerk Rheinland-Pfalz noch das geringste Problem. Im Windschatten des – welche Ironie! – mit falschen Weihnachtsgeschenken und goldfarbenen Kugeln behangenen Weihnachtsbaums der Stadt Mainz protestierten sie am 26. November 2014 gegen die sog. Rechtsvereinfachungen im SGB II, die nach dem Willen der Bundesregierung mit kaum weniger Ironie ausgerechnet am 1. April 2015 als Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in Kraft treten sollen. Auf den Weg gebracht wurden sie von einer Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft im Auftrag der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK), die gleichzeitig in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz tagte. Gleichwohl das Gesetzesvorhaben eines Referentenentwurfs aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin harrt, hat das Hartz IV-Netzwerk Rheinland-Pfalz beschlossen, den öffentlichen Protest dorthin zu tragen, wo der Unmut der Aktivist_innen über die geplanten, zum Teil verfassungswidrigen Eingriffe in Grundrechte und dreisten Einschnitte in die materiellen Rechte von Langzeiterwerbslosen seinen Ursprung hat: in der Hauptstadt des Bundeslandes, das zur Zeit den Vorsitz in der ASMK innehat.

Mit einer Protestnote tat das Hartz IV-Netzwerk Rheinland-Pfalz den Unmut der Aktivist_innen kund: “Wir protestieren auf Schärfste gegen die geplanten ‘Rechtsvereinfachungen im SGB II’, die nur die Effektivierung der Verwaltung bezwecken, aber die Situation der Betroffenen weiterhin massiv verschlechtern.” Da auch künftig mit einer Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse zu rechnen sei, würden diese Verschärfungen dazu beitragen, dass immer mehr Leistungsbezieher_innen dauerhaft an der Peripherie unserer Gesellschaft leben müssten, “mit unabsehbaren Folgen für unsere Demokratie”. Die bereits eingeleitete Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich, in Arbeitsplatzinhaber und Arbeitsplatzsuchende, würde dadurch nur vorangetrieben. Daraus ergeben sich als Schlussfolgerung und Forderung: “Arbeitslosigkeit ist kein individuelles Problem, sondern ein volkswirtschaftliches. Mit den im nächsten Jahr geplanten ‘Rechtsvereinfachungen im SGB II’ werden diese untragbaren Zustände nicht nur zementiert, sondern weiter verschlechtert und verschärft. Daher muss Hartz IV – schnellstens – durch eine verbesserte gesetzliche Regelung ersetzt werden!”

“Das System Hartz IV war von Anfang an mit ethischen Mängeln und Denkfehlern behaftet und ist auf eine traurige und ethisch bedenkliche Weise gescheitert”, konstatierte Burkhard Tomm-Bub, Ex-Fallmanager aus Ludwigshafen. “Daran wird nun auch ein Gemischtwarenladen an sogenannten Rechtsvereinfachungen nichts ändern, weil keines der Grundprobleme gelöst werden, die mit Hartz IV verbunden sind.” Tomm-Bub zitterte nach eigenem Bekunden “nicht wegen Entzugserscheinungen oder vor Angst so auffällig … eher vor Wut”: “Hier kommt ein bemerkenswerter Grad an Realitätverdrängung zum Tragen, denn dass für jeden freien Arbeitsplatz drei, vier, fünf und mehr arbeitwillige Menschen zur Verfügung stehen, wird vergessen, verdrängt, de facto geleugnet.”

“Wir lehnen die Legalisierung eines ‘rechtsfreien Raumes’, genannt Jobcenter, ab. Das Einklagen von Rechten von Leistungsbeziehern über Sozialgerichtsurteile sollte die Ausnahme sein und nicht zur Regel werden”, hob Gernot Reipen, Koordinator der AG BGE bei der Piratenpartei Deutschland, hervor. “Wir PIRATEN unterstützen die von Erwerbslosengruppen und -netzwerken im Herbst bundesweit gestartete Kampagne ‘AufRecht bestehen!'”. Logische Schlussfolgerung für Reipen: “Hartz V gehört abgeschafft!” Hartz IV sei schließlich das Ergebnis einer Politik, die einzig und allein wirtschaftlichen und kapitalistischen Interessen und Gesetzen folge. Unter diesen politischen Bedingungen und Voraussetzungen könne und werde der Mensch nur in einer Kosten-Nutzen-Analyse eingehen. “Ist der Einzelne für unser Wirtschaftssystem noch nützlich oder nicht?” benennt Gernot Reipen die in diesem System einzig entscheidende Frage. “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt”, ruft Reipen Artikel 1 des Grundgesetzes in Erinnerung. “Aus diesem Grundrecht heraus leiten wir PIRATEN unsere Forderung nach einem Recht auf sichere Existenz und gesellschaftlicher Teilhabe ab. Deshalb setzen wir uns uneingeschränkt für das bedingungslose Grundeinkommen ein!”

“Wir brauchen Jobs für alle!” forderte Manfred Bartl, Sprecher der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV, energisch. “Wenn wir keine Jobs für alle haben, dann brauchen wir wenigstens eine starke Bewegung gegen all die Hartz IV-Verschlimmbesserungen, wir brauchen eine Bewegung für gute Arbeit und wir brauchen eine Bewegung für das bedingungslose Grundenkommen!!”

Zum zweiten Tag der Arbeits- und Sozialministerkonferenz brachte Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Partei DIE LINKE. ein Positionspapier zu den sogenannten Rechtsvereinfachungen im SGB II heraus, in dem sie Kritik am Auftrag…: “Die grundsätzlichen Probleme der Hartz-IV-Gesetzgebung liegen nicht auf verwaltungstechnischer Ebene. Hartz IV ist von Grund auf falsch konstruiert und muss abgeschafft werden!” … und am Stil der Bund-Länder-AG übte: “Die Arbeitsweise der zuständigen Arbeitsgruppe war von Intransparenz geprägt. Zwischenergebnisse und konkrete Arbeitsweise wurden nicht veröffentlicht, sondern nur durch Whistleblower bekannt. Sowohl außerparlamentarische Kräfte wie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Erwerbsloseninitiativen als auch Bundestagsabgeordnete wurden nicht in die Arbeit der Gruppe einbezogen.”
Die inhaltliche Kritik Kippings an den Rechtsvereinfachungen ist stellenweise vernichtend, etwa zur Absicht, “die Frequenz der Datenabgleiche bezüglich Beschäftigungszeiten auf eine Frequenz von einmal monatlich, also zwölfmal jährlich statt bisher viermal jährlich zu erhöhen. “Der Vorschlag (…) bedient die Ideologie des Leistungsmissbrauchs [und] führt nicht zur Vereinfachung sondern zur Ausweitung, nämlich zu einer Verdreifachung des Verwaltungshandelns!”
Außerdem werde das Problem der Absicherung von Kindern mit getrennt lebenden Eltern im Leistungsbezug auf die Eltern verschoben. Künftig solle nur noch das Elternteil mit Kindeshauptwohnsitz den Bedarf für das Kind ausgezahlt bekommen und Bedarfe für den Aufenthalt des Kindes beim Umgangsberechtigten diesem abtreten. “Konsequent und sachlich korrekt wäre aber”, so die Parteivorsitzende, “den vollen Regelbedarf den Sorgeberechtigten zukommen zu lassen, denn viele Güter des Grundbedarfs (Wohnung, Nahrung, Kleidung usw.) lassen sich nicht in Tagen abrechnen, müssen dauerhaft vorgehalten werden. Bei Aufenthalten der Kinder bei Umgangsberechtigten in einer sog. temporären Bedarfsgemeinschaft sollte dann diesem ein Mehrbedarf für den Kinderbedarf zugebilligt werden!”
Rechts- und Verwaltungsvereinfachungen seien nicht dazu geeignet, das grundrechtswidrige Sonderrecht Hartz IV, das Armut, Ausgrenzung und Entrechtung für Millionen Menschen in Deutschland bedeute, zu beseitigen. “Der aktive Widerstand gegen Hartz IV ist weiterhin ein zentrales Feld linker und LINKER Politik und vieler sozialer Bewegungen. Hartz IV muss durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt werden! DIE LINKE”, kündigt Kipping an, “bringt dazu einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein.”

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