Nach Paragraph 28 SGB 2 Absatz (1) erhalten “nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld (…). (…) 1. Die Regelleistung beträgt bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vom Hundert und im 15. Lebensjahr 80 vom Hundert der nach Paragraph 20 SGB 2 Abs. 2 maßgebenden Regelleistung [zur Sicherung des Lebensunterhalts] (…).” Da die Regelleistung seit dem 1. Juli 2007 auf 347 Euro (vorher: 345 Euro) erhöht wurde, erhalten Kinder in “Bedarfsgemeinschaften” erwerbsfähiger Hilfebedürftiger
- bis zum 14. Geburtstag 60 Prozent der Regelleistung, also 208 Euro,
- bis zum 15. Geburtstag 80 Prozent der Regelleistung, also 278 Euro,
- und ab dem 15. Geburtstag wie sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft 80 Prozent der Regelleistung, also 278 Euro.
Kindergeld, das selbst superreichen Eltern für das Existenzminimum ihrer Kinder zusteht, wird ALG-II-Empfängern als zusätzliches Einkommen voll angerechnet, sodass sie dieses Geld niemals zu Gesicht bekommen. Der Betrag von 208 bzw. 278 Euro soll also für Essen, für die Winterschuhe, für Spielzeug und für vieles mehr reichen.
Wir bezweifeln dies. Eine Arbeitslose müsste lange sparen, um z. B. mit den vorgesehenen 4,40 Euro/Monat die benötigten Sportschuhe oder mit den vorgesehenen 9,12 Euro/Jahr geeignetes Spielzeug oder mit den vorgesehenen 2,51 Euro/Tag ausreichendes und gesundes Essen zu kaufen.
Noch schlimmer sieht es mit dem Geld für Schulsachen aus. Denn von den 208 Euro ist kein einziger Cent für Schulsachen vorgesehen. Die Ausgaben für Bildung wurden komplett gestrichen, als die Höhe des ALG II festgelegt wurde. Für Schreibwaren im Allgemeinen sind von den 208 Euro monatlich 1,63 Euro vorgesehen. Dafür bekommt man gerade mal einen Bleistift und einen Radiergummi. Aber was, wenn ein Zirkel oder ein neuer Schulranzen, ein Mäppchen oder ein Taschenrechner gebraucht werden? Von den Schulbüchern und Arbeitsheften ganz zu schweigen.
Bei der Einschulung in eine städtische Grundschule sind z.B. im vergangenen Jahr für ein Kind folgende Kosten entstanden:
- Bücher und Arbeitshefte gemäß der von der Schule vorgegebenen Liste: 56,57 Euro. (Dafür hätte übrigens der Lernmittelgutschein gemäß der Landesverordnung über die Lernmittelfreiheit nicht gereicht, selbst dann nicht, wenn man die für das Schuljahr 2007/08 erhöhten Beträge zugrunde gelegt hätte. Danach liegt der Grundbetrag für Kinder in der 1. Klasse bei 50 Euro, wovon Familien mit nur einem oder zwei Kindern nur 75 % erhalten.)
- Hefte, Mappen, Malblöcke, Schere, Radiergummi, Stifte, Malkasten, Knete etc. gemäß der Materialliste der Schule: 60 Euro.
- Schulranzen, Turnbeutel, Mäppchen: 40 Euro.
- Klassenkasse (Kopierkosten und Ausgaben für weiteres pädagogisches Material): 30 Euro.
In diesen Ausgaben sind noch nicht die Kosten für die Turnkleidung, die Turnschuhe oder gar eine Schulspeisung enthalten.
Für die Inanspruchnahme von Mehrbedarfen muss man schon alleinerziehend sein. Einmalige Beihilfen, wie sie noch in der alten Sozialhilfe geleistet wurden, sind aus dem schulischen Blickwinkel nur noch für mehrtägige Klassenfahrten schulpflichtiger Kinder vorgesehen; beim Erstbezug einer Wohnung gibt es Beihilfen, nicht aber bei der Einschulung für die Schultüte und deren Inhalt.
Wir fragen uns, von was Hartz-IV-Eltern diese Kosten bezahlen sollen. Ein “Ansparen” jedenfalls ist angesichts der oben genannten Zahlen kaum möglich.
Es ist bereits statistisch nachgewiesen, dass gerade Kinder armer Eltern auch bei der Bildung benachteiligt werden und damit dauerhaft in Armut bleiben. Armut in frühen Kindertagen ist vielfach prägend für längere Zeiten und geht oft mit vielfältigen Benachteiligungen einher. Arme Kinder haben oftmals mehr gesundheitliche Beeinträchtigungen und ihnen bleiben oftmals erfolgreiche Bildungswege verschlossen. Bundesweite Untersuchungen zeigen, dass dreieinhalb Mal so viele arme Kinder wie nicht arme Kinder bereits in der Grundschule eine Klasse wiederholen. Mehr als jedes dritte Kind, das arm ist, bleibt sitzen.
Es ist ganz offensichtlich, dass es um die Bildung von Hartz-IV-Kindern, die mit ihren Eltern von ALG II oder Sozialgeld leben müssen, schlecht steht und dies oftmals die Weichen für ihr späteres Leben stellt. Chancengleichheit ist so nicht möglich. Wenn überhaupt, strebt “Chancengleichheit” in die umgekehrte Richtung: Mit immer mehr Kindern ohne ausreichende Lernmittel werden auch die schulischen Leistungen im Klassenschnitt absinken und ganze Klassenverbände dem geforderten Niveau hinterher hinken.
Der Stadtrat Oldenburg hat vor dem Hintergrund dieser Problemlage für 2007 einen kommunalen Fonds für Schulmaterialien in Höhe von 200.000 Euro in seinen Haushalt eingestellt. Im folgenden Jahr soll dieser Fonds sogar auf 400.000 Euro erhöht werden. Dabei rechnet man in Oldenburg mit 4.000 Bedürftigen.
In Mainz lebt mehr als jedes sechste Kind unter 15 Jahren unter Hartz-IV-Bedingungen. Dies sind 4.346 Kinder unserer Stadt, die arm sind (entsprechend einer Quote von 17,7 Prozent; Stand: Dez. 2006). Von ihnen sind mehr als 2.000 im schulpflichtigen Alter.
Ein Aktionsbündnis zur Finanzierung von Schul- und Bildungsbedarfen, bestehend aus Armut und Gesundheit in Deutschland e.V., dem DGB Rheinhessen-Nahe, der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV, der Landesverband RLP des Verbandes Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) und pro familia Mainz, hat die Mainzer Stadtratsfraktionen und Sozialdezernentin Birgitt Collisi aufgefordert,
- dem Beispiel Oldenburgs zu folgen und Kindern von Mainzer ALG-II-Empfängern und Geringverdienern eine unbürokratische Soforthilfe zum nächsten Schuljahr zur Verfügung zu stellen,
- sich auf Landesebene für eine in Rheinland-Pfalz längst überfällige, umfassende Lernmittelfreiheit einzusetzen und
- auf Bundesebene für eine eigneständige Kindergrundsicherung als einzig mögliche Gewährleistung von tatsächlicher Chancengleichheit von Kindern einzutreten.
zur Pressemitteilung des DGB Rheinhessen-Nahe:
Ohne Schulsachen lernt’s sich schlecht – Kein Geld für Schul- und Lernmittel bei Kindern von ALG-II Empfänger/inne/n – Mainzer Aktionsbündnis fordert Stadt zum Handeln auf
zum Artikel der “Allgemeinen Zeitung”, Mainz:
Bündnis fordert Lehrmittelfreiheit – Kritik an Hartz IV – Mittel für Schulbedarf fehlen