Presseerklärung ZUM ZEHNJÄHRIGEN des Schwarzfahrers für Gerechtigkeit auf das Jahr 2019

Das Jahr 2018 war wohl das bewegteste in der Geschichte des Protests gegen die Stadt Mainz und ihre asoziale Praxis, eine Monatskarte für die Ärmsten der Armen zu einem Preis „anzubieten“, den das dediziert für den ÖPNV zur Verfügung stehende Budget im Regelbedarf der Grundsicherung, die ein menschenwürdiges Existenzminimum abzudecken hat, bei Weitem übersteigt, zuletzt 61,10 Euro gegenüber 26,87 Euro.

Das Bündnis „Mobilität für alle!“ nahm seine Arbeit auf und kämpft nun für ein Sozialticket auf Landesebene, und zwar sowohl als landesweit einheitliche Regelung als auch im Hinblick auf den Geltungsbereich. Am 19. Oktober 2018 lachte die Sonne für das Sozialticket: Das Bündnis „Mobilität für alle!“ warb in Mainz, Trier und Koblenz für eine bezahlbare Fahrkarte auch für finanziell schwächer gestellte Menschen. Auf dem Vorplatz des Mainzer Hauptbahnhofs hatten sich mit mir, Dietmar Muscheid (DGB RLP-S)und Willi Jäger (VdK RLP) einige prominente Fürsprecher des Sozialtickets eingefunden. Der Tag hat alle Beteiligten darin bestärkt weiterzukämpfen. Mobilität ist Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und somit ein Grundrecht! Dies wurde auch dem Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling mit auf den Weg gegeben.

Mit Lydia Herdt trat eine zweite Person an meine Seite, die auf die etablierte Weise nicht nur ihr Grundrecht auf Mobilität wahrt, sondern auch als Schwarzfahrerin für Gerechtigkeit gegen das „Sozialticket“ protestiert, durch das Menschen von der Mobilität und damit von der Teilhabe am Leben ausgeschlossen werden.

Während ich unter dem Namen @grundrechtaufmobilitaet auf der Social Media-Plattform Instagram durchstartete, wurde Lydia Herdt mit @schwarzfahrenfuergerechtigkeit aktiv.

Der zweite Prozesszug, der erste auf der Mainzer Rheinseite, sollte in die Landgerichtsinstanz gehen, blieb aber – je nach Sichtweise – in den Anfängen stecken, nachdem der Richter in unfassbarer Willkür mein Ärztliches Attest verwarf und so tat, als könne er die Verhandlung einfach so, in meiner Abwesenheit durchziehen. Nun muss sich das Oberlandesgericht mit meiner Sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand herumschlagen, anstatt dass wir die Verhandlung endlich durchführen. Eine Revisionsbegründung brachte ich aufgrund schwerster Depressionen schon nicht mehr zustande…

Am 13. November 2018 im Sozialausschuss und am 21. November 2018 im Stadtrat der Stadt Mainz kam dann nach fast zehn Jahren Schwarzfahren für Gerechtigkeit endlich Bewegung in die Verhältnisse der Stadt Mainz. Doch wie enttäuschend war das Ergebnis! Mit dem neuen MainzPass als (vom Sozialausweis kaum unterscheidbarer) Grundlage kann man seit dem 1. Januar 2019 wahlweise eine von zwei sogenannten Sondermonatskarten kaufen, die beide den Namen „Sozialticket“ nicht verdienen. Die Sondermonatskarte „Wucher“ wird aus der alten Sondermonatskarte fortgeführt und kostet jetzt 62,40 Euro, ist weiterhin rund um die Uhr gültig, ist aber auch nach wie vor um die Mitnahmeregelung, die Übertragbarkeit und die Benutzung von S-Bahnen und Nahverkehrszügen beschnitten. Die Sondermonatskarte „Hohn“ bleibt um die Mitnahmeregelung, die Übertragbarkeit und die Benutzung von S-Bahnen und Nahverkehrszügen beschnitten und kann zum Wucherpreis von (immerhin „nur“ noch) 35 Euro erworben werden, sofern man diesen Betrag überhaupt erübrigen kann, denn die Grenze von 27,41 Euro, die 2019 im Regelbedarf der Grundsicherung für ÖPNV-Dienstleistungen eingestellt sind, wird weiterhin um knapp 8 Euro „gerissen“. Und man bekommt für diesen Wucherpreis nur eine realitätsferne 9-Uhr-Monatskarte! Wenn man also ein Ziel vor ca. 9:30 Uhr mit dem Bus oder der Mainzelbahn erreichen muss und eine Einzelfahrkarte fällig wird, dann ist bereits das gesamte für die Abteilung Verkehr gewidmete Budget (Öffentliche Verkehrsmittel im Nah- und Regionalverkehr, Taxifahrten, Fahrrad sowie Zubehör) für ein angebliches „Sozialticket“ draufgegangen!

Das schlimmste Detail an dieser Gemengelage ist aber, dass nicht etwa ein Pseudo-„Sozialticket“ durch ein anderes, etwas „harmloseres“ Pseudo-„Sozialticket“ ersetzt wird, nein, die mit dem neuen MainzPass eingeführte Neuerung wird parallel zu dem alten „Angebot“ eingeführt! Neben den mit den „Sozialticket“-Modellen verbundenen Problemen kommt also als zentrales Problem dazu: Dieser Bullshit ist nicht ansatzweise sozial, sondern nichts weiter als ein Programm zur Einnahmenoptimierung der MVG / Mainzer Mobilität! Alle Betroffenen im Rechtskreis SGB II, die vom Jobcenter zur Teilnahme an Maßnahmen verpflichtet werden, die vor ca. 9:30 Uhr beginnen, und auf eine Fahrkarte angewiesen sind, die auch vor 9 Uhr schon gilt, werden sich die alte Sondermonatskarte oder gleich eine reguläre Monatskarte kaufen, die mit 83,20 Euro nur (!) 20,80 Euro mehr kostet als die Fahrtkostenerstattung für das „Sozialticket“ abwirft, dann aber übertragbar ist und in der S-Bahn nicht zu Stress mit Kontrolleuren führt. Schlussendlich finanziert das Jobcenter so die MVG / Mainzer Mobilität! Wer sich auf die geschilderte Weise durch den Kauf einer Monatskarte in die Normalität hinüberrettet, fällt obendrein aus der in zwei Jahren anstehenden Evaluation der beiden Sondermonatskarten heraus und erhöht damit die Gefahr, dass sich die MVG danach nicht einmal mehr an das jetzt gefundene Modell gebunden fühlt…

Wenn man bedenkt, dass die Redewendung „seinen Obolus leisten“ eine Gebühr, eine Spende, eben einen kleinen Geldbetrag bezeichnet, ist das Verhalten der MVG / Mainzer Mobilität unwürdig, ausgerechnet aus den Ärmsten der Armen noch einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen und Profit herausschlagen zu wollen! Zudem ist es erbärmlich von der Mainzer Politik, sie in diesem Streben nicht in die Schranken zu weisen und sich in der eigenen Unfähigkeit zu gefallen, keine politische Lösung herbeiführen zu können, sei es, weil schlicht die politische Durchsetzungsfähigkeit fehlt oder die politische Kompetenz zu durchschauen, dass ohne Rekommunalisierung der MVG / Mainzer Mobilität eine politische Lösung im eigentlichen Sinne unerreichbar bleibt.

In der Sitzung des Sozialausschusses habe ich den Sozialdezernenten Eckart Lensch (SPD) gefragt, ob die Stadt Mainz das neue Modell denn bekannter zu machen beabsichtige als das alte „Sozialticket“. Es hatte fast den Anschein von Enthusiasmus, als er im Hinblick auf die nach zwei Jahren geplante Evaluation des MainzPass-Projekts zusagte, die Menschen über das neue Angebot informieren zu wollen, und sei es nur, um realistische Zahlen für die Auswertung zu erhalten. Tatsächlich wurde nicht einmal mir das Flugblatt zum MainzPass zugestellt, obwohl ich im Sozialausschuss meine E-Mail-Adresse hinterlegt hatte, um (auch) eine schriftliche Antwort zu bekommen. In dieser verwies Lensch auf den Flyer und die städtischen Internetseiten sowie viele „aktuelle Veröffentlichungen in den regionalen Medien“, als ob arme und vor allem alte Menschen in Abhängigkeit von der (völlig unzureichenden) Grundsicherung (im Alter) verlässlich darauf zugreifen könnten! Selbst der Artikel der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ zum MainzPass erschien erst am Dienstag, den 8. Januar 2019 und enthält nur hochverdichtete Informationen zum „Sozialticket“; der Aufmacher auf der Titelseite verzichtet sogar vollständig auf das Thema Mobilität! Dabei wird mit „Am Leben teilhaben können“ ein Anspruch aufgemacht, der ohne Mobilität gar nicht zu verwirklichen ist.

Es ist gut, dass Lensch immerhin zur Kenntnis nimmt, dass der Preis von 35 Euro den im Regelbedarf vorgesehenen Anteil übersteigt, eine Aussage, die in den genannten Veröffentlichungen – auch des Oberbürgermeisters – regelmäßig zu kurz kommt. Das insgesamt dreijährige Projekt soll „Perspektiven für die weitere Entwicklung der Sondermonatskarte“ ergeben. Hartz IV aber wurde am 19.12.2003 beschlossen, trat am 1.1.2005 in Kraft und wurde nach dem 9.02.2010, dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, welches uns das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums brachte, zwischendurch noch einmal ordentlich aufgewirbelt. DIE GANZE ZEIT lag der Preis des Mainzer Pseudo-„Sozialtickets“ dramatisch über dem im Regelbedarf vorgesehenen Anteil und wird weiterhin darüber liegen. Wer KEINE PERSPEKTIVE hat, sind und bleiben also die Betroffenen, die eine brauchbare Mobilität nur mit den Betrag übersteigenden Eigenmitteln erzielen können und ansonsten mit Mängeln an Mobilität und Teilhabe, mit ihrer Selbstexklusion (zusätzlich zur staatlich gewollten Exklusion) oder sogar mit illegalen Nothilfe-Mitteln wie dem Schwarzfahren umgehen müssen. Als Andreas Behringer (SPD) den Stadtrat nach der Sitzung am 21.11.2018 verließ und mich erblickte, sagte er scherzhaft: „Mit dem Schwarzfahren ist dann aber Schluss!“

Doch, nein: Das Schwarzfahren für Gerechtigkeit wird auch 2019 bruchlos fortgeführt, um das Grundrecht auf Mobilität in Anspruch zu nehmen, weil ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB vorliegt und es das einzige Mittel ist, mit dem – bei hinreichender Resonanz in der Presse und der Öffentlichkeit – klar gemacht werden kann, dass einerseits die betroffenen Menschen SOFORT eine Perspektive brauchen und andererseits die verstrichene Zeit seit der „Gestaltung“ des Desasters Hartz IV für die Sammlung empirischer Daten, Projektstudien, Best Practice-Richtlinien und das Begehen der berühmten Wege, die sich eröffnen, wenn man einen Willen vorweisen kann, längst dicke, dicke hätte reichen müssen!

Mit dem heutigen 25. Januar 2019 erfülle ich mir meinen grundrechtlichen Anspruch auf Mobilität und Teilhabe seit zehn Jahren mittels Schwarzfahren für Gerechtigkeit, ein Jubiläum, das nicht wirklich zum Feiern einlädt und das ich mir, Ihnen allen und vor allem den Betroffenen gerne erspart hätte, wenn die Mainzer Politik nur etwas beweglicher im Geiste wäre; wieder sehen wir, wie wichtig aktiv , auch geistige Mobilität ist.

Wir jedenfalls werden diesen tapferen Widerstand gegen asoziale Politik mit Sicherheit würdig zu begehen wissen! Und wir werden ihn fortsetzen, bis zumindest eine menschenwürdige Lösung umgesetzt ist!

Manfred Bartl

Schwarzfahrer für Gerechtigkeit

Sprecher der Mainzer Initiative gegen HARTZ IV

Mitglied im Bündnis “Mobilität für alle!” – Ein Sozialticket für Rheinland-Pfalz – mit VdK, DGB, ver.di, LIGA, PARITÄTISCHEM, LINKE HILFE Mainz e.V., EVG, BUND, Mainzer Initiative gegen HARTZ IV uvm.

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