Bei strahlendem Sonnenschein greift Manfred Bartl an diesem normalen Mainzer Schultag ein aktuelles Thema auf, das nicht nur Hartz IV betrifft, sondern auch die Bildungsdiskussion, nämlich das “Bildungs- und Teilhabepaket” des Bundessozialministeriums, mit dem Ursula von der Leyen den lieben Kindern so viel Gutes mit auf den Weg geben möchte. Sein Urteil ist vernichtend: “Verlorene Liebesmüh!” Und es liegt nicht an den Eltern…
Liebe Mainzerinnen und Mainzer!
Als das Bundesverfassungsgericht sich die Schaffung eines Grundrechts auf soziokulturelle Teilhabe vornahm, mit dem die Bundesregierung zur Neuberechnung des Hartz-IV-Eckregelsatzes gezwungen wurde, zeichnete das hessische Landessozialgericht unter Jürgen Borchert als Auftraggeber der zugrundeliegenden Richtervorlage. Das Kunststück war dem LSG gelungen, indem man lediglich feststellte, dass der Bedarf von Familien mit Kindern durch die Regelleistungen nicht hinreichend gedeckt sei. Da es sich bei den Kinderregelsätzen bloß um prozentuale Ableitungen des Eckregelsatzes handelte, musste der Eckregelsatz die Quelle allen Übels sein!
Was daraus wurde, ist uns allen bekannt: Der Eckregelsatz wurde unter kompletter Missachtung des Bundesverfassungsgerichts um 5 Euro angehoben – aber die Kinderregelsätze blieben unverändert! Ursula von der Leyen zeigte sich „überrascht und auch sprachlos“ angesichts der detaillierten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, denen zufolge die Kinderregelsätze sogar hätten gesenkt werden müssen! Die aktuelle Stagnation verkaufte sie als „Bestandsschutz“ und die zukünftige Stagnation der Kinderregelsätze bei preisinduzierten Erhöhungen des Eckregelsatzes als nur logischen Ausgleich für diese Großzügigkeit gegenüber Hartz-IV-Familien, „die sich auf diesem Niveau eingerichtet haben“…
An diesem Punkt wird es spannend: Obwohl nun die Sätze für ein die soziokulturelle Teilhabe ermöglichendes Kinderleben gefunden waren, fielen von der Leyen ein paar Dinge ein, mit denen man den Kindern noch ein bisschen mehr Teilhabe ermöglichen könnte. Statt diese Dinge einfach in die Kinderregelsätze zu integrieren, verfiel von der Leyen der fixen Idee, zusätzlich zu den Regelsätzen ein Bildungspaket zu schnüren, aus dem sich die Eltern nach Bedarf bedienen könnten bzw. müssten. Doch nicht nur das: Die Industrie sollte auch ihren Schnitt machen, weswegen das Ganze mit Chipkarten hätte geregelt werden sollen. Das Argument, mit dem man sie letztlich wenigstens davon abbringen konnte, war wohl, dass sich der ganze Aufwand für die paar Kröten nie und nimmer lohne…
Das nunmehr „Bildungs- und Teilhabepaket“ benannte Bildungspäckchen umfasst im Einzelnen folgende Leistungen:
- 1-tägige Schul- und Kitaausflüge
- Mehrtägige Klassenfahrten für SchülerInnen und für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen [war schon zuvor anerkannter Mehrbedarf]
- Schulbedarf für SchülerInnen [gab es zuvor schon als eigenes „Bildungspäckchen“; die 100 Euro werden jetzt in zwei Portionen von 70 Euro zu Schuljahresanfang und 30 Euro zum Start des 2. Halbjahres ausgezahlt]
- Schülerbeförderungskosten für SchülerInnen
- Lernförderung [also Nachhilfe] für SchülerInnen
- Zuschuss zum Mittagessen für SchülerInnen und für Kinder, die eine Kindertageseinrichtung besuchen [sofern diese eine eigene Mensa besitzen…]
- Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres [gleichwohl das Paket als Ganzes für „Kinder“ bis 25 Jahre gilt]
Die Punkte 1, 3, 4, 6 und vor allem 7 machen unmissverständlich klar: Hier werden Leistungen für das alltägliche Leben von SchülerInnen am soziokulturellen Teilhabeminimum mutwillig aus dem Regelsatz herausgerissen und in einen neuen, überflüssigen Bürokratismus überführt. Zu jedem der sieben Punkte existieren eigene Hinweisblätter und eigene Formulare! Man kann sie sich im Jobcenter abholen oder auf der Website der Stadt Mainz herunterladen – wenn man sich davon etwas verspricht. Jedenfalls muss man sich mit jedem dieser Formulare – im Einzelfall sogar gegenüber Dritten – als Leistungsberechtigte/r nach Hartz IV outen! Man erhält wie beim sonstigen Schriftverkehr mit dem Jobcenter „präventive“ Androhungen der Leistungsversagung; wahrscheinlich werden sogar [vom Bundesverfassungsgericht mit dem Makel der Verfassungswidrigkeit behaftete] Sanktionen ausgesprochen, wenn man die Formulare nicht ordnungsgemäß ausfüllt oder Bescheinigungen nicht oder nicht rechtzeitig beibringt. Ein FDP-„Politiker“ meinte gar, den Vorschlag auskotzen zu müssen, dass man Eltern, die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets trotz Berechtigung nicht beantragten, mit Sanktionen bestrafen sollte. Also weniger Geld, weil man nicht noch mehr Geld wollte!
Immerhin: Er sprach aus gegebenem Anlass. Davor, sich diesem Psychoterror aussetzen zu müssen, waren viele Eltern anfangs – trotz der reduzierten Hürden für die rückwirkende Geltungsdauer – nämlich offenkundig zurückgeschreckt. Jetzt werden es etwas mehr, wenngleich man nach wie vor nur von einer Katastrophe sprechen kann.
Auch ich habe noch keine Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket beantragt. Wenn ich es demnächst angehe, werde ich für mein Kind gleich 5 Bildungspakete beantragen – damit’s langt!
Das ist noch der Gipfel der Ironie, dass diese Beiträge ihren Zweck gar nicht erfüllen können, weil sie nicht hinreichend sind! Selbst die Mitgliedsbeiträge von Vereinen der sportlichen oder musischen Förderung sind teilweise höher als die zur Verfügung gestellten Beträge – und dann hat man immer noch kein Trikot, keine Fußballschuhe, kein Instrument, keine Saiten etc. und das Kind noch nicht hinbringen können…
Wir fordern darum:
- Leistungen zur soziokulturellen Teilhabe gehören in den Regelsatz hinein!
- Kinder brauchen eine eigene Regelsatzberechnung für ihre besonderen, altersgerechten Entwicklungsbedingungen!
- Wir brauchen den Eckregelsatz von mindestens 500 Euro im Monat für alleinstehende Leistungsberechtigte!
- Her mit der Kindergrundsicherung als Einstieg in das bedingungslose Grundeinkommen für Alle!