Auch der Initiator des Themas Schwarzfahren anlässlich des Berichtes über eine wegen wiederholten Schwarzfahrens zu 2 Monaten Haft verturteilten Hartz-IV-Leistungsberechtigten, Pancho vom Kritischen Kollektiv, hat einen Redebeitrag beigesteuert:
Schwarzfahren für soziale Teilhabe
kollektiv am 19. Januar 2011
Die heutige Demo der Mainzer Initiative gegen Hartz IV erfuhr heute anlässlich der Verurteilung einer Mainzer Hartz-IV-Empfängerin zu 2 Monaten Haft wegen Schwarzfahrens erstmalig Unterstützung aus anderen linken Spektren.
Rund 20 Demonstrant_innen sind zwar noch viel zu wenig, aber für die lokale Erwerbsloseninitiative so etwas wie ein Teilnehmer_innenrekord und somit immerhin ein Anfang.
Hier der Redetext des Kritischen Kollektivs:
Schwarzfahren ist eine Straftat, daran lässt der Gesetzgeber keinen Zweifel. Keine schwere Straftat, aber auch nicht lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Und so kann es auch niemanden überraschen, dass die Gerichte es als eine solche ahnden.
So fand letzte Woche am Mainzer Amtsgericht ein Strafverfahren gegen eine 61jährige Mainzerin statt. Die ehemalige Facharbeiterin und Mutter dreier erwachsener Kinder wurde wegen mehrmaligen Schwarzfahrens zu einer Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt. Aufgrund eines Bewährungswiderrufs läuft das Urteil in der Konsequenz voraussichtlich auf ein Jahr Haft hinaus. Ein Jahr im Knast wegen Schwarzfahrens. Und keineswegs ein Einzelfall.
Das Urteil ist bitter, vor allem weil die Frau – wie so viele andere in Mainz und anderswo – überhaupt keine Alternative zum Schwarzfahren hat. Wie so viele andere muss sie von Hartz IV leben, und damit Jahr für Jahr mit immer weniger Geld auskommen. Schließlich steigen die Preise von Busfahrkarten ebenso wie die Lebensmittelpreise Jahr für Jahr um mehrere Prozent – der ALG-II-Regelsatz hingegen wurde nur alle paar Jahre um wenige Pünktchen angepasst. Daran ändern auch die aktuell von der Bundesregierung diskutierten 5€ Schweigegeld nichts.
Dass Hartz IV alles andere als eine soziale Hängematte ist, hat sich hoffentlich herumgesprochen. Zwang und Schikane, Abhängigkeit und Kontrollverlust, soziales Ausgegrenztsein und Stigmatisierung prägen das Leben eines Hartz-IV-Empfängers, einer Hartz-IV-Empfängerin. Dabei wurde uns Hartz IV eigentlich als Antwort auf das Grundrecht der unantastbaren und vom Staat zu schützenden Würde des Menschen verkauft, als Ausdruck des ebenso grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsprinzips.
Pustekuchen. Die Berechnung des Regelsatzes ist absurd. Für Mobilität als einem existenzsichernden Grundbedarf stehen monatlich 15,97€ zur Verfügung. Der Betrag wird 2011 zwar ein wenig angehoben – dies jedoch nur im Gegenzug zu Kürzungen an anderer Stelle. Ein Verschiebebahnhof, nicht mehr.
Bestenfalls 20 Euro sollen also für die Nutzung des öffentlichen Verkehrs ausreichen, für alltägliche Besorgungen, Arztbesuche, Fahrten zum Arbeitsamt und was so notwendigerweise anfällt.
Moment, aber es heißt doch, Hartz IV solle nicht nur das pure Überleben sichern, sondern die soziokulturelle Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen. Das beinhaltet doch zumindest auch Fahrten zu Bildungseinrichtungen, kulturellen Angeboten, ins Schwimmbad, zu Freunden und Verwandten, die womöglich nicht einmal am selben Ort wohnen.
Bestenfalls 20 Euro für die Nutzung des öffentlichen Verkehrs. Dabei kostet allein das sogenannte „Sozialticket“ für den Mainzer Stadtverkehr über 50 Euro. Damit ist noch keine einzige Fahrt über die Stadtgrenze hinaus abgedeckt, geschweige denn der Bedarf, dann und wann ein paar Getränkekisten oder einen größeren Einkauf per Carsharing, Taxi oder ähnlichem zu transportieren.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die letzte Woche verurteilte Frau gar keine Alternative dazu hatte, eben schwarzzufahren, wenn sie nicht in den eigenen vier Wänden versauern will. Und auch wenn sie aus dem Knast zurückkehrt, wird sie wieder vor derselben Situation stehen.
Ganz unabhängig von der Frage, ob der öffentliche Nahverkehr nicht für alle kostenlos sein sollte, ist dies ein Grund, dass wir uns mit dieser Frau solidarisieren, dass wir uns mit allen Betroffenen solidarisieren.
Ihr Schwarzfahren mag illegal sein, aber es ist legitim. Ihr Wunsch, am Leben teilnehmen zu können, mag die Behörden nicht interessieren, aber er bedeutet, die Würde des Menschen zu wahren. Auch wenn wir sie nicht aus dem Knast herausboxen können, können wir ihr und anderen Unterstützung anbieten, in der Öffentlichkeit, auf der Straße, im Bus.
Wir sind alle Schwarzfahrer!