Die 9. Jeden-Monat-Demo in der Allgemeinen Zeitung

Nachdem am Mittwoch, den 20. Januar 2010, die neunte Jeden-Monat-Demo durch die Mainzer Innenstadt gezogen war, erschien am Donnerstag ein Artikel in der “Allgemeinen Zeitung”: Protest gegen “Sozialabbau”. (Man fragt sich sofort, was wohl die Anführungszeichen zu bedeuten haben…) Geschrieben hat ihn Mara Braun, die mich kontaktiert hatte, weil die Redaktion offenbar an ein paar bodenständigen Informationen von Betroffenenseite interessiert war, um damit die gleichzeitig stattfindende Pressekonferenz des Job-Centers zu fünf Jahren Hartz IV in Mainz emotional zu illustrieren. So begleitete sie auf meine Einladung (um nicht zu sagen: Verpflichtung, denn acht Jeden-Monat-Demos hat die “Allgemeine Zeitung” bereits ignoriert!) hin den Zug der wackeren Demonstranten über die Große Bleiche und die Lotharpassage zum Gutenbergplatz und konnte gleich einige (mehr oder minder) Betroffene interviewen, u.a. mich.

Darin findet sich ein erstaunlicher Satz: “Ob er sich auch um Jobs bewirbt? ‘Nein’, bekennt er [“Manfred Bartl (39)”] freimütig und schiebt nach, das habe ‘ohnehin keinen Sinn’.” Dieser unscheinbare Satz ist deswegen so erstaunlich, weil nicht nur das angebliche “Zitat” des Interviewten nie so gesagt wurde (was skandalös genug ist, auch wenn ich von der “Allgemeinen Zeitung” kaum anderes gewohnt bin…), sondern weil die Journalistin nicht einmal ihre eigene Frage korrekt wiederzugeben imstande war!

Online habe ich daher eine – mittlerweile veröffentlichte – Gegendarstellung über die Kommentarfunktion abgegeben:

Nicht richtig ist, dass ich Frau Braun eine Antwort mit dem – auch nur sinngemäßen – Wortlaut: “Nein, das hat ohnehin keinen Sinn” gegeben hätte. Tatsächlich ist es nicht einmal richtig, dass Frau Braun mir diese Frage, “ob ich mich auch um Jobs bewürbe”, gestellt hätte!

Diese Unterstellung ist ehrabschneidend, denn selbstverständlich bewerbe ich mich, wo immer es angezeigt ist und sinnvoll erscheint!

Richtig ist vielmehr, dass Frau Braun mich nach der Zahl meiner Bewerbungen fragte und dass ich mit einer in der Relation geringen Zahl antwortete, die als Beweis dafür herangezogen wurde, dass Bewerbungen – praktisch! – “keinen Sinn machen”, da trotz all meiner vielfältigen Qualifikationen stets Absagen erfolgten – sofern überhaupt eine Antwort eintraf.
Die Wortkette “es macht keinen Sinn” ist also keineswegs Ausdruck einer – womöglich resignativen oder gar verweigernden – Erwartungshaltung, sondern vielmehr Resultat meiner Erfahrungen!

Manfred Bartl

Dass ich das nicht gesagt habe, ergibt sich wohl ganz zwanglos aus der Tatsache, dass ich es auch dann niemals – und schon gar nicht gegenüber der Presse – äußern würde, wenn es womöglich wahr wäre! Schließlich ist mir klar, dass die Mainzer Verantwortlichen für Hartz IV – Martin Kehrein und Kurt Merkator, Thomas Dippold und Jens Beutel – die “Allgemeine Zeitung” am Tag nach ihrer Pressekonferenz besonders aufmerksam studieren werden. Ein Hartz-IV-Empfänger, den sie als “Kunde” zu bezeichnen belieben, der gegenüber der Presse “freimütig” bekennen würde, dass er sich nicht bewürbe, wäre ein gefundenes Fressen für diese Herrschaften! Wahrscheinlich steht ihnen bei der Lektüre der gedruckten Zeitung beim Gedanken an die bald fällig werdenden Sanktionen sprichwörtlich der Schaum vorm Mund. Darauf aber, dass ich jemals so dumm werden würde, könnt ihr warten, bis ihr schwarz/noch schwärzer werdet!

Ein besonderes Feature des Artikels ist – vier Tage vor dem einjährigen Jubiläum meiner Aktion “Schwarzfahren für Gerechtigkeit” – die endlich erfolgte Erwähnung der Aktion in der “Allgemeinen Zeitung”: “…sagt Bartl, der sich 2005 als Bundestagsdirektkandidat versuchte und der ohne Ticket Bus fährt, um ein Zeichen gegen ‘überteuerte Sozialtickets’ zu setzen.” (und wieder fragt man sich, was die Anführungszeichen zu bedeuten haben…) – Es war wahrhaftig an der Zeit, dass die Öffentlichkeit erfährt, wer dieser kritische “AZ-Leser” aus dem Artikel “Sozialticket für ÖPNV zu teuer?” ist! 😉

Ein weiterer Kritikpunkt am journalistischen Ethos der “Allgemeinen Zeitung” ergibt sich aus der Wiedergabe des Fotos von Sascha Kopp in der gedruckten Zeitung. Sein Foto, wie es auch online beim Artikel zu bestaunen ist, sieht nämlich so aus:

Komplett-Foto

Bildunterschrift: “Einmal pro Monat ziehen die Hartz-IV-Gegner mit Transparenten vom Münster- zum Gutenbergplatz und demonstrieren.

Schaut man aber in die gedruckte Zeitung, so ist ausgerechnet der Schriftzug “JEDEN-MONAT-DEMO” ausgeblendet:

Foto-wie-print

[Symbolfoto; generiert aus dem Online-Foto]

Wer hat den Schriftzug abgeschnitten? Warum sollte die Bezeichnung unserer regelmäßigen Protestaktion nicht im Bild zu sehen sein, obwohl doch im Text alle nötigen Informationen genannt werden? Hier: “Jeden dritten Mittwoch im Monat macht sich die Gruppe vom Münster- auf zum Gutenbergplatz, will mit der ‘Jeden-Monat-Demo‘ im Auftrag des Koordinierungsforums der Mainzer Arbeitsloseninitiativen ein Zeichen setzen gegen Hartz IV und Sozialabbau.

Ebenfalls zu kritisieren ist die Unausgewogenheit der Berichterstattung. Die Pressekonferenz des Job-Centers zog drei Texte (davon immerhin nur zwei vollständige Artikel) nach sich:

Weniger Arbeitslose als vor fünf Jahren (der Anreißer auf der Titelseite),

Armut nimmt zu sowie

Wirtschaftkrise verschont Mainz: Nicht mehr Menschen auf Hartz IV angewiesen.

Unsere Aufklärung über die wahren Verhältnisse hingegen nur den einen Artikel (und der ohne Anreißer):

Protest gegen “Sozialabbau”.

Und dabei sind wir – das Job-Center und die Verantwortlichen der Stadt Mainz einerseits und wir im Koordinierungsforum der Mainzer Arbeitsloseninitiativen Organisierten andererseits – noch nicht einmal erklärte Gegner! Vor allem Merkator und die SPD sind in erster Linie nichts als Fehlgeleitete, die Hartz IV irgendwelche “Erfolge” andichten müssen, solange sie noch nicht zuzugeben imstande sind, dass “ihr” Hartz IV die Gesellschaft spaltet, arbeitende gegen arbeitslose Erwerbspersonen aufhetzt, Menschen, die normalerweise Arbeitslosenhilfe beziehen würden, nachgerade enteignet (“Armut per Gesetz”), viel mehr Menschen als unter wirklich sozialen Bedingungen obdachlos macht oder sogar umbringt und nebenbei für Lohndumping sorgt, weil die sich gezwungen fühlen, jede Schikane mitzumachen, die noch arbeiten, und jeden Job anzunehmen, wenn sie aus der furchtbar stigmatisierenden Arbeitslosigkeit so schnell als möglich herauswollen.

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