Hartz IV im Vergleich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen

Auch wenn die Jeden-Monat-Demo zur 4. Internationalen Woche des Grundeinkommens mangels Masse abgesagt wurde, publiziere ich meinen vorgesehenen Redebeitrag gleichsam als virtuelle Demo für das Grundeinkommen:

Manche halten Hartz IV oder besser gesagt: das Arbeitslosengeld II (kurz ALG II) für ein Grundeinkommen oder zumindest für einen Einstieg ins Grundeinkommen. Langfristig wird es vielleicht als Meilenstein auf dem Weg dorthin wirken, weil Hartz IV nun einmal historisch zwischen Sozialhilfe und dem Grundeinkommen zu liegen gekommen sein wird.

Von den Grundsätzen her ist Hartz IV jedoch absolut nicht als Grundeinkommen konzipiert und das Sozialgesetzbuch II (SGB II) enthält zu viele diesem Ziel entgegenstehende und oft verfassungswidrige Paragraphen, deren Entfernung zum Zwecke der Schaffung eines Grundeinkommensgesetzes das SGB II praktisch entkernen würde.

Was sind die so entscheidenden Unterschiede?

Hartz IV ist offiziell die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“. Der Gesetzgeber hat also die Bedingung der Arbeitsuche vor den Leistungsbezug estellt, genauer: dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit beseitigt wird. Zugleich wird auf diese Weise ein eingeschränkter Adressatenkreis definiert, nämlich die Menschen, die durch Langzeiterwerbslosigkeit und die wirklich gewordene „Armut per Gesetz“ in die Hilfebedürftigkeit abgerutscht sind und durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von mindestens Stunden täglich zur Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit gefordert werden sollen.

Das Grundeinkommen in seiner bedingungslosen Ausgestaltung ist demgegenüber als Grundrecht für alle dauerhaft im Geltungsbereich des Grundgesetzes lebenden Menschen konzipiert. Es ist nicht an die Voraussetzung einer Hilfebedürftigkeit gekoppelt und vor allem nicht – daher die Bedingungslosigkeit – an eine Gegenleistung in Form von Erwerbstätigkeit. Sowohl erwerbstätige als auch erwerbslose Arbeitnehmer erhalten es, sich selbst ausbeutende Selbstständige erhalten es genauso wie millionenschwere Privatiers, die ihr Geld für sich arbeiten lassen, Kinder erhalten es gleichermaßen wie ihre Eltern, arme Kirchenmäuse werden genauso großzügig bedacht wie gut betuchte Rentner.

Dabei wurde der Betrag der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Betroffenen durch Einführung von Hartz IV massiv abgesenkt, nämlich 1. durch die komplette Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und 2. durch Einbeziehung vieler außergewöhnlicher Belastungen in die Pauschale des ALG-II-Regelsatzes, wo im Rahmen der Sozialhilfe noch fallweise und dann auch umfassend geholfen werden konnte. Dass Hartz IV gemäß Paragraph 1 SGB II den Leistungsberechtigten ermöglichen soll, „ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht“, war von Anfang an eine Farce. Es wurde umso mehr eine Farce, als das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 das Grundrecht auf soziokulturelle Teilhabe auf der Grundlage der Artikels 1 Grundgesetz definierte, das sich im neuen SGB II nicht nur nicht wirklich niederschlug. Dadurch etwa, dass der Anteil für Alkohol und Tabak gestrichen wurde oder dass expressis verbis die „soziale und kulturelle Teilhabe“ sichernde Anteile aus dem Kinderregelsatz (für soziokulturelle Teilhabe!) ausgelagert und hinter neue Antragshürden in das „Bildungs- und Teilhabepaket“ integriert wurde, ist Hartz IV sogar noch verfassungswidriger als zuvor. Das ist schon eine Ironie des Schicksals, dass dieses neue, durchaus zur Begründung eines bedingungslosen Grundeinkommens heranzuziehende Grundrecht auf soziokulturelle Teilhabe, das offenkundig kein exklusives Grundrecht für Langzeitarbeitslose ist, sondern ein Grundrecht aller Menschen, nicht im geringsten zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation in Deutschland geführt hat!

Das bedingungslose Grundeinkommen hingegen soll wirklich die soziokulturelle Teilhabe garantieren, wie es das erste Kriterium des Netzwerks Grundeinkommen betont: „Ein Grundeinkommen soll bedingungslos jedem Mitglied einer politischen Gemeinschaft die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

Im Gegensatz zum Statistikmodell des SGB II oder der Warenkorblösung der Sozialhilfe die dem Wesen nach auch hinter Hartz IV steht und die beide letztlich nur Almosen von Seiten der Mehrheit der Habenden „da oben“ für die Unterschicht bereitstellen, ist der Ansatz des bedingungslosen Grundeinkommens der einer emanzipatorischen Grundausstattung, die eine soziokulturelle Teilhabe garantiert und darum auch als Demokratiepauschale (Katja Kipping) bezeichnet wird, da sie das demokratische Subjekt zum Handeln ermächtigt, indem es dieses zum Wirtschaftssubjekt erhebt. Das
Bundesverfassungsgericht drückte es so aus:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“ (…)
Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt.

Prinzipiell geht es um den Gegensatz von fremdbestimmtem Leben unter Grundsicherungsregime und selbstbestimmtem Leben mit Hilfe eines bedingungslosen Grundeinkommens. Noch heute spielen viele Politiker die Schmierenkomödie, dass das ALG II doch nur zur Überbrückung einer kurzen Zeitspanne ohne Job diene. Dabei bekommt man das ALG II ohnehin erst, wenn schon 12 Monate ALG I hinter einem liegen und man mit der „Armut per Gesetz“ viele langfristig vorzuhaltende Ressourcen bereits aufgeben musste. Man stürzt dann in einen Zustand der Armut, aus dem heraus die Wiederaufnahme eines existenzsichernden Jobs mit jedem Monat schwieriger wird. Statistiken zeigen darüber hinaus, dass sich bei immer mehr Menschen der Hartz-IV-Zustand zunehmend verfestigt, einfach weil der Arbeitsmarkt im Kapitalismus eben so gestrickt ist, dass er einerseits die Anforderungen immer höher schraubt, während er bei weitem nicht genug Angebote generiert (wenn es überhaupt diese Möglichkeit gibt), ausnahmslos alle Menschen jenen Anforderungen anzupassen.

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für Alle wird der Übergang zwischen einem Arbeitsplatz und einer Orientierungsphase in der Erwerbslosigkeit deutlich weicher, weil es lediglich um Fragen der Lebensstandardabsicherung geht und nicht um solche der Existenzsicherung.

Darüber hinaus steht zu erwarten, dass jedes gesellschaftliche Engagement wertgeschätzt wird. Vor allem Hilfsarbeiten und geringqualifizierte Tätigkeiten werden nicht mehr unter diesem zerstörerischen Rationalisierungsdruck und diesem menschenverachtenden Kosteneinsparungsdruck stehen wie zur Zeit.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist also ein emanzipatorisches Projekt, mit dem die Menschen gegenüber dem Arbeitsmarkt (und damit auch dem Staat gegenüber sowie dem einzelnen Arbeitgeber in Gehaltsverhandlungen) und auch untereinander emanzipiert werden.

Meines Erachtens klingt das sehr viel besser, als mit einem menschenunwürdigen Regelsatz und menschenverachtenden Sanktionsandrohungen in menschenunwürdig bezahlte Jobs oder sogar volkswirtschaftlich absurde Ein-Euro-Jobs abgeschoben zu werden und zu diesem Zweck die Kinder in fremde Hände geben zu müssen.

Her mit dem bedingungslosen Grundeinkommen!

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