Unser Redebeitrag von Manfred Bartl zur 24. Mainzer Jeden-Monat-Demo am 20. Juli 2011, gehalten im Dauerregen bei der Abschlusskundgebung auf dem Frauenlobplatz in der Mainzer Neustadt.
Liebe Konsumentinnen und Konsumenten!
Das OPEN OHR 2011 hat sich unter dem Motto “Rien ne va plus – Nichts geht mehr” mit dem Thema Geld und Bezahlen beschäftigt. Das machen wir Hartz-IV-Leistungsberechtigten auch – und zwar jeden Tag! Warum müssen wir jeden Cent zweimal umdrehen? Warum können andere leistungslos Millionen oder gar Milliarden einstreichen? Manchmal gerät Geld in die Diskussion, etwa wenn der Euro gerettet werden “muss”. Aber versteht noch jemand, worum es bei diesem “Geld” überhaupt geht? Man gewinnt nicht unbedingt diesen Eindruck, wenn monatelang über die Neuberechnung des Hartz-IV-Regelsatzes gerungen wird – und dann mit einer nominellen Erhöhung um 5 Euro faktisch ein Kürzung herauskommt, weil der Anteil für Alkohol und Tabak sang- und klanglos herausgestrichen wurde. Damit – und aus vielen anderen Gründen – genügt der neue Regelsatz nicht dem Anspruch des Bundesverfassungsgerichts auf Einlösung des Grundrechts auf soziokulturelle Teilhabe!
Die für eine scheinbare “Bankenrettung”, “Euro-Rettung” und “Griechenlandrettung” bereitzustellenden dreistelligen Milliardenmittel wurden innerhalb weniger Wochen bewilligt! Leben wir noch in einer Realität, die diesen Namen verdient? Ist die Bundesrepublik denn noch ein Sozialstaat? Ein Rechtsstaat? Eine Demokratie? Nein!
Wie unsinnig die Politik gesteuert wird, kann man gut an der Schuldenbremse ablesen. Nun bin ich grundsätzlich für ein solches Vorhaben zu begeistern. Ich will einen Statt, der sich ausschließlich über Steuern finanziert und der Schulden nur in unvorhersehbaren Situationen ausnahmsweise einmal aufnimmt. Doch welchen Eindruck erweckt ein solcher Plan in einem Staat, der die öffentliche Verschuldung seit Jahrzehnten als Mittel zum Zweck der künstlichen Aufrechterhaltung einer kapitalistischen Wirtschaftsweise betreibt? Wie kann eine Schuldenbremse überhaupt ohne eine gleichzeitige Vermögensbremse zum Ziel führen? Was wird ein Gesetzgeber, dem die Schuldenlast bislang piepegal war, wenn er nur seine überkandidelten Prestigeprojekte durchziehen konnte, unter den Bedingungen der Schuldenbremse anderes betreiben als Sozialabbau, Einschränkungen der Zivilgesellschaft, Kürzungen bei denen, die sich am wenigsten wehren können: bei Langzeitarbeitslosen, und im Bildungssektor!
Das sehen wir doch hier in der Stadt Mainz, wo auch zweieinhalb Jahre nach Beginn meiner Aktion “Schwarzfahren für Gerechtigkeit” und beinahe eineinhalb Jahre nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil immer noch kein verfassungsgemäßes Sozialticket haben!
Wir sehen es an der unwürdigen Diskussion um Kürzungen beim Staatstheater, obwohl unser Stadtschreiber Ingo Schulze schon zurecht dagegen wetterte und obwohl letzte Woche die ZEIT das “Lob der Hochkultur” gesungen hat.
Wir sehen es an der Diskussion um den Gesamthaushalt, die plakativ auf dem OPEN OHR ausgetragen wurde und laut “Allgemeiner Zeitung” beim Festivalmotto endete: beim Rien ne va plus!
Letzte Woche hielt Prod. Karl-Heinz Brodbeck seinen Vortrag zur “Herrschaft des Geldes” an der Mainzer Universität. Seine Argumentation drehte sich um die Entstehung und die Natur des Geldes. Er legte schlüssig dar, dass Geld nicht aus dem Tausch heraus entstanden sein und diesen nicht ersetzt haben kann. Das ist schon interessant, weil ich selbst das Thema beim OPEN OHR vom anderen Ende aufgezogen habe, doch dazu später mehr.
Brodbeck sagt, dass Geld im Wesentlichen aus dem Vertrauen besteht, das wir alle in das Geld als wertebevorratendes, indirektes Tauschmittel setzen, von dem unsere Gesellschaft durchorganisiert wird. Geld sieht Brodbeck als vergesellschaftendes Mittel auf einer Stufe mit unserer Sprache an! Bankenrettungsschirm und den ganzen Mist bezeichnete Brodbeck als “systematische Missbrauchsorgie” unseres Vertrauens ins Geld. Wenn wir eine Lösung anstrebten, dann müssten wir den Leuten das Handwerk legen, die unser Vertrauen ins Geld und in “Geldstabilität” für ihre eigene Bereicherung ausnutzen.
Beim OPEN OHR habe ich das Thema mit der Ausarbeitung zum “Do ut des”-Prinzips andersherum aufgezogen. Immer wenn ich Leuten vorschlug, das Geld als Ursache unserer Probleme abzuschaffen, erntete ich überraschenderweise Unglaube, weil die meisten Leute – offenkundig rückwärtsgewandt – die dann angeblich einsetzende Tauschwirtschaft für zu kompliziert hielten, um sie wünschenswert finden zu können.
Dabei ist meine Intention, nicht nur das Tauschmittel abzuschaffen, sondern das Tauschen an sich! Es soll sich eine Schenkökonomie herausbilden! Irgendwann stellte ich fest, dass es eine Grundlage für dieses Veralten gibt, nämlich die Verinnerlichung des “Do ut des”-Prinzips. So sagt der Lateiner, wenn wer “Ich gebe, damit du gebest” zum Ausdruck bringen möchte. Die Gabe einer Gegenleistung bewirkt die erwünschte, bedürfnisbefiedigende Leistung. Bekannt ist das Prinzip von dem Spruch “Bis zur vollständigen Bezahlung bleibt die gelieferte Ware unser Eigentum“. Die meisten Menschen können gar nicht anders denken als Leistung gegen äquivalente Geegenleistung. Doch was ist schon äquivalent? Wer bestimmt den Maßstab? Kann es überhaupt einen universalen Maßstab geben? Beim Geld gibt es viel zu viel Missbrauch, um das Vertrauen in diesen Wertmaßstab noch zu rechtfertigen. Warum nicht einfach Bedürfnisse befriedigen und einfach der Gesellschaft dienen, wie man es selbstbestimmt für richtig hält??! Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht diese Freiheit aus Basis eines konzeptionellen Verzichts auf das Gegenleistungsprinzip zwischen Individuum und Gesellschaft. Mit dem ausgezahlten Grundeinkommen in Höhe von 1500 Euro im Monat soll das Individuum zwar vorerst noch dem Gegenleistungsprinzip umgehen. Auf lange Sicht aber sollten wir uns wirklich komplett davon verabschieden: Jeder nach seinen Fähigkeiten, einem jeden nach seinen Bedürfnissen!