Redebeitrag zur 22. Jeden-Monat-Demo

Manfred Bartl fordert der gesetzlichen Mindestlohn und erläutert das Wesen eines möglichst hohen Regelsatzes der Grundsicherung für Arbeitsuchende als de facto-Mindestlohn, solange in Deutschland kein gesetzlicher Mindestlohn existiert. Ein Appell an die Solidarität unserer arbeitenden Kolleginnen und Kollegen in ihrem ureigensten Interesse.

Liebe Mainzerinnen und Mainzer!

Der gesetzliche Mindestlohn ist in Europa schon weit verbreitet, ja, beinahe schon selbstverständlich geworden. Gesetzliche Mindest­löhne gibt es in 20 von 27 Ländern der Europäischen Union. Die Werte, zumindest in Westeuropa, sind einigermaßen realistisch, sie werden an der Teuerungsrate orientiert dynamisch angehoben – sogar inmitten in der Krise! Sie verhindern „arbeitende Arme“ (auf Englisch „working poor“) und stabilisieren die Binnennachfrage.

Nur wir in Deutschland müssen wir noch immer auf einen gesetzlichen Mindestlohn verzichten!

Der gesetzliche Mindestlohn würde über die oben geschilderten Vorzüge hinaus das Aufstocker-Syndrom verhindern, bei dem unsere Steuergelder als Kombilöhne in die Bezahlung privat­wirtschaftlicher Arbeit gesteckt werden, und leiten womöglich ein Ende des Niedriglohnsektors als Ganzes ein, was wiederum neue Chancen für Geringqualifizierte darstellen würde. Der gesetzliche Mindestlohn verbessert ganz nebenbei die Geschlechtergerechtig­keit, weil überdurchschnittlich viele Frauen zur Zeit im Niedriglohn­sektor arbeiten, was – wie überhaupt die ganze Schlechterstellung der Frauen – nicht hinzunehmen ist!

Dabei existiert in Deutschland mit Hartz IV ein Gesetz, das den gesetzlichen Mindestlohn zur Verhinderung der unaufhaltsamen Abwärtsspirale notwendig macht! Rationale Menschen können Hartz IV ohne den Einzug einer Untergrenze gar nicht denken – jetzt mal ganz abgesehen davon, dass vernünftige Menschen sich ein so menschenverachtendes System wie Hartz IV niemals ausdenken würden.

Hartz IV macht wirklich deutlich, wie notwendig der gesetzliche Mindestlohn ist: Langzeitarbeitslose sind durch Hartz IV gezwungen, jeden „zumutbaren“ Job anzunehmen, und darunter fallen auch Jobs, die bis zu 30 Prozent unter ortsüblichem Tarifgefüge bezahlt werden. Dem kann nur eine gesetzlicher Mindestlohn einen Riegel vorschieben, der verhindert, dass Jobs entsprechend dieser Formulierung überhaupt angeboten werden dürften.

Mich wundert ohnehin, warum die Gewerkschaften diesen unzulässigen und darüber hinaus systemwidrigen Eingriff in die Tarifautonomie durch Hartz IV so widerstandslos hinnehmen.

Solange kein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wurde, gibt es nur eine wirksame Methode, das Lohngefüge nach oben zu drücken, indem man den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlägt, nämlich gemäß dem halluzinierten „Lohnabstandsgebot“ der Arbeitgeber­verbände als de facto-Mindestlohn einen möglichst hohen Regelsatz bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch­zusetzen!

Wir brauchen einen Regelsatz in einer Höhe, der dieses Lohnabstandsgebot eindeutig als Gebot an die Adresse der Arbeitgeber richtet, das Lohngefüge anzuheben – und nicht wie bisher als Gebot an den Bund, die sozialen Errungenschaften ohne jede Not zu vernichten wie etwa die Arbeitslosenhilfe oder das Elterngeld, das Leistungsberechtigten jetzt wie zuvor schon das Kindergeld als Einkommen angerechnet, im Klartext: gestrichen wird!

Wenn die Arbeitgeberverbände den gesetzlichen Mindestlohn nicht gerade als „Jobkiller“ diffamieren oder in konkreten Arbeitskämpfen ganz ungeniert mit der Abwanderung ihrer Unternehmungen drohen, um bloß keine höheren Löhne zahlen zu müssen, stimmen sie nämlich komischerweise immer in den Chor derer ein, die meinen, dass es sinnvoller ist Arbeit zu bezahlen statt Arbeitslosig­keit. Dieser Gemeinplatz ist freilich nicht von der Hand zu weisen – wobei wir das Pferd nicht gerne von hinten aufgezäumt sehen wollen und darauf verweisen, dass die Massenarbeitslosig­keit sich gar nicht erst aufgeschaukelt hätte, wenn man die Produktivitäts­fortschritte zeitnahe in mehr Freizeit – also in Arbeitszeit­verkürzung – umgemünzt hätte und dass eine heutige Maßnahme nur daraus bestehen kann, entsprechend eine radikale Arbeitszeit­verkürzung durchzusetzen und erst anschließend nach dem Lohnniveau zu schauen bzw. dann auch nachzubessern.

Liebe Mainzerinnen und Mainzer,

lasst mich noch einmal zusammenfassen:

Wir brauchen den gesetzlichen Mindestlohn!

Und solange wir keinen gesetzlichen Mindestlohn haben, brauchen wir für die Grundsicherung einen Regelsatz, der das Lohnabstands­gebot als Gebot an die Arbeitgeber adressiert, das Lohngefüge auf Basis der unverrückbar menschenwürdig auszugestaltenden Grundsicherung anzuheben!

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