Redebeitrag zur 20. Jeden-Monat-Demo

Dieser Textbeitrag entstand aus der Überarbeitung des Redebeitrags von  Manfred Bartl, Mainzer Initiative gegen HARTZ IV, zur 20. Jeden-Monat-Demo am 19.01.2011.

Liebe Mainzerinnen und Mainzer,

dies ist die Mär vom abhanden gekommenen Hartz-IV-Regelsatz.

Wenn man dieser Tage die Zeitungen aufschlägt und Artikel über „Hartz-IV-Verhand­lungen“ liest, kommen darin vor allem Wörter wie Bildungspaket, Mindestlohn und Leiharbeit vor. Wie konnte es dazu kommen?

2003 hatte eine rot-grüne Regierungskoalition mit den Stimmen von schwarz-gelb in Berlin das vierte Gesetz über Modernisierungen am Arbeitsmarkt – kurz: Hartz IV – beschlossen. Zentrale Auswirkung dieser Modernisierung war die Zusammenlegung von Arbeitslosen­hilfe und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe. Gegenüber der Sozialhilfe erschien das neue Arbeitslosengeld II durch Einberechnung von ein­maligen Beihilfen in die monatliche Pauschale zwar aufge­hübscht, nur eine Partei erkannte dennoch, was Hartz IV wirklich ist: Armut per Gesetz!

Diese hatte viele Faktoren: Das Aufbrauchen des (Altersvorsorge-)Vermögens auf dem Weg zur Hilfebedürftigkeit, die fehlenden Beihilfen bei außerplanmäßigen kleineren und erst recht größeren notwendigen Neuanschaffungen und natürlich der vorne und hinten nicht reichende Regelsatz von 345 Euro, der etwa keinerlei Ausgaben für Bildung vorsah und der schließlich – nach Jahren – am 9. Februar 2010 vom Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht wurde. Allerdings nicht unmittelbar, sondern mittelbar über sein intransparentes Zustande­kommen, das dem Gesetzgeber bis zum 31.12.2010 zur Nachbesserung aufgetragen wurde, um ab dem 1.1.2011 mit einem verfassungsgemäß zustandegekommenen Regelsatz weiterzumachen. Andernfalls müsste ein später bestimmter Regelsatz rückwirkend zum 1.1.2011 in Kraft treten.

Die zuständige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, ließ erst einmal ein paar Monate verstreichen – und präsentierte den perplexen Hilfebedürftigen dann eine faustdicke Überraschung: die Neuberechnung des Hartz-IV-Regelsatzes hätte einen gegenüber dem vorher geltenden Regelsatz um 5 Euro erhöhten Betrag von 364 Euro zur Folge; bei den Kindern müsste man allerdings theoretisch etwas abziehen, man ließe ihnen aber das Geld wie bisher und würde die Kinder einfach ein paar preisinduzierte Regelsatzanpassungen aussetzen lassen, bis alles wieder mit dem errechneten Bedarf übereinstimme. Das kam unvorbereitet, denn die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht war ja gerade über die Kinderregelsätze möglich geworden. Die Kinderregelsätze wurden vom Eckregelsatz für den alleinlebenden Erwerbsfähigen durch willkürliche prozentuale Abzüge abgeleitet, der, wie gesagt, keinen Ausgabenposten für Bildung beinhaltet! Für alle Beobachter stand fest, dass bei einer soliden Neuberechnung nach transparenten Kriterien nicht nur irgendwelche neuen Regelsätze für die verschiedenen Altersstufen, sondern vor allem auch höhere Regelsätze herauskommen würden müssen.

Dem Anspruch des Bundesverfassungsgerichts nach Transparenz der Neuberechnung kommt von der Leyen nur insofern nach, als deutlich wiederum die Verfassungswidrigkeit durchscheint. Noch nicht die wichtigste, aber eine sehr offensichtliche ist die Streichung des Anteils für Alkohol und Tabak, gesellschaftlich anerkannte Genussmittel, vor allem in für soziale Teilhabe so wichtiger Gesellschaft (übrigens auch noch ohne Herausrechnung der Ausgaben der Bezugsgruppe für diese “Genussgifte“).

Nachdem von der Leyen so spät in die Gänge gekommen war, wird das Procedere nun weiter ausgebremst durch die rot-rot-grüne Blockade im Bundesrat. Doch was da in den Arbeitsgruppen des Vermittlungs­aus­schusses von Bundestag und Bundesrat diskutiert wird, ist nicht primär der Hartz-IV-Regelsatz, sondern andere, die Arbeitsmarkt­politik insgesamt berührende Themen wie eben der Mindestlohn und die Leiharbeit. Man versucht, genauer: die SPD versucht ohne Rücksicht auf Verluste, mit ihrer Zustimmung zum um gerade mal 5 Euro erhöhten Regelsatz andere Themen durchzupeitschen. Doch so sehr der gesetzliche Mindestlohn hilfreich auch für die Hartz-IV-Problematik wäre, so wenig hilft er bei der Durchsetzung eines wirklich verfassungs­gemäßen Regelsatzes von nach unserer Meinung 500 Euro, wenn sich niemand explizit darum bemüht – nicht einmal die LINKSFRAKTION im Bundestag, die erst mit dem Bundesverfassungsgericht drohen musste, um überhaupt zur Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses zu­gelassen zu werden, und nun nur Zahlen Dritter in den Verhandlungen thematisiert, statt die eigene Forderung einzubringen.

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